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Keiner frozzelt
so geistreich
wie Sommer

Das IHK-Präsidentenamt geprägt

Von Bernhard Hertlein
Bielefeld (WB). Bescheiden, provinziell und etwas hölzern im Umgang mit den Mächtigen: Immer mehr prominente Ostwestfalen heben sich von diesem Fremd- und Selbstbild der Menschen am Teutoburger Wald ab. Einer passt so gar nicht in diese Schablone: Herbert Sommer, bis Mitte September noch Präsident der Bielefelder Industrie- und Handelskammer.

Er flog zu Muammar al-Gadafi nach Libyen, speiste mit Wladimir Putin in Moskau und unterhielt sich mit dem damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder in der »Ständigen Vertretung«, einem Szenelokal in Berlin. Besonders gern, so scheint es, trifft er sich mit Andersdenkenden. Dann spielt Sommer seinen Charme und seine Eloquenz aus. Sehr gern frozzelt er -Êallerdings so geistreich, dass ihm dies in der Regel keiner der Gäste übel nimmt.
Der Wortwitz und die Leichtigkeit, mit denen er die Dinge vorträgt, sollten nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Bielefelder Unternehmer seit der ersten Wahl 1975 zum Vorsitzenden der ostwestfälischen Wirtschaftsjunioren eine klare Standespolitik vertritt. Der Unternehmer braucht -Êund verdient -Êdie volle Unterstützung der Gesellschaft und der Politik. Er verdient sie, weil er Arbeitsplätze schafft und erhält. Und wenn diese Jobs nach Osteuropa oder Fernost verlagert werden? Dann geschieht auch dies, um einen noch größeren Arbeitsplatzabbau zu verhindern. Und wenn die Firmen die Stellen trotz Rekordgewinne verlagern? »Man darf nicht nur vom Status quo ausgehen.« Der Unternehmer müsse bei seinen Entscheidungen künftige Entwicklungen einbeziehen. Leise, als IHK-Präsident dem Kammer-Ton verpflichtet, kommt dann doch ein Anflug von Kritik an der eigenen Zunft: »So unsensibel, zur gleichen Zeit Rekordgewinne und einen Arbeitsplatzabbau bekanntzugeben, ist kein Mittelständler .«
Als Sommer 2002 als Nachfolger des Delbrücker Fritz-Wilhelm Pahl das Amt des IHK-Präsidenten in Ostwestfalen übernahm, kam er vor allem mit der Empfehlung, neun Jahre an der Spitze des von ihm mitgegründeten regionalen Industrie- und Handelsclubs gestanden zu haben. Bei der Kammer sollte er mehr noch als beim IHC auch nach innen wirken. Das eine Ziel, die ostwestfälische Wirtschaft stärker zu internationalisieren, ist gelungen. Die Exportquote nähert sich inzwischen dem Durchschnittswert ganz Nordrhein-Westfalens.
Beim anderen Thema, der Schaffung von Lehrstellen, gehen die Meinungen auseinander. Sommer verweist darauf, dass die Zahl der bei der IHK registrierten Ausbildungsverträge heute um 20 Prozent höher ist als vor zehn Jahren. Die Zahl der jugendlichen Schulabgänger stieg jedoch im gleichen Zeitraum um 35 Prozent.
Sommer dachte schon global, als das Wort Globalisierung noch nicht die Verbreitung hatte wie heute. Als -Êzusammen mit seinem Bruder Gerhard -Êeiner der beiden geschäftsführenden Gesellschafter des elterlichen Fahrzeugbauunternehmens in Brackwede bei Bielefeld wagte er nach der Öffnung des Eisernen Vorhangs den Sprung nach Russland. Der Ehrgeiz und der Arbeitseinsatz der dortigen jungen Generation haben es ihm bis heute angetan. Zusammen mit Oberbürgermeister Eberhard David kam er 1990 erstmals in die Bielefelder Partnerstadt Nowgorod. Eigentlich hätte er sich mit dem Zweigwerk lieber in Petersburg niedergelassen: »Aber da wären wir als kleines Unternehmen aufgerieben worden.« Auch in Nowgorod war es in den ersten Jahren schwierig, der Korruption und Mafia zu widerstehen. Sommer hat dabei so seine eigenen Methoden entwickelt: »Unsere Probleme mit dem Zoll hörten beispielsweise sofort auf, als wir einige Mitarbeiter vom Zoll für unsere Betrieb abgeworben haben.« Heute läuft das Werk rund. Zu den Höhepunkten in der Geschichte des russischen Zweigwerks gehörte bislang ein Besuch des damaligen Bundespräsidenten Johannes Rau.
Währenddessen gingen die konjunkturelle Flaute und die Krise des deutschen Speditionsgewerbes auch an Sommer Fahrzeugbau nicht spurlos vorüber. Gerade als die Auftragsbücher wieder voll waren, fehlten dem Familienunternehmen die finanziellen Möglichkeiten, um durchzustarten. Um den Erhalt der Firma zu sichern, entschlossen sich die Sommer-Brüder im vergangenen Jahr ihr Unternehmen an die Investmentgesellschaft Arques zu verkaufen. Heute sind sie noch als Berater im Unternehmen beschäftigt. Ihre Beteiligung dagegen ist auf zusammen sechs Prozent gesunken.
Gefragt nach der Rolle des Ehrenamts vermeidet es Sommer, den sich öffnenden leichten Ausweg zu nehmen. Im Gegenteil: »Der Zeitaufwand fürs Ehrenamt hat dem Unternehmen nie geschadet.« Standespolitik sei sein Hobby - so wie andere vorm Fernsehapparat sitzen oder Golf spielen. Mehr Zeit als für ein Hobby habe er nicht einbringen müssen. Das sei auch das Fatale an der derzeitigen Debatte um Norbert Röttgen und Reinhard Göhner: »Dadurch werden Unternehmer, die sich eigentlich mehr politisch engagieren sollten, abgeschreckt.«

Artikel vom 02.08.2006