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»Schluss mit Marathon-Dienst«

70 Ärzte des Klinikums Mitte demonstrierten auf dem Jahnplatz

Von Michael Diekmann
und Hans-Werner Büscher (Fotos)
Bielefeld (WB). Die Ärzte der Bielefelder Klinik Mitte werben bei den Bürgern um Verständnis. Mehr als 70 Mediziner sind am Donnerstag erstmals in einen auf drei Stunden befristeten Streik getreten, haben in einem Demonstrationszug vom Krankenhaus zum Jahnplatz auf den schwelenden Tarifkonflikt aufmerksam gemacht und in einer Kundgebung ihre Forderungen unterstrichen. Um 11 Uhr war die Aktion beendet.

»Die Bürger haben von Ärzten gehört, die streiken. Jetzt können sie sie auf der Straße in Bielefeld sehen«, sagte Dr. Christian Leuner (58). Der Kardiologe und Leitende Oberarzt gehört zum Streikteam in Mitte, das sich in der vergangenen Woche formiert hatte, um den Forderungen in der Tarifrunde Nachdruck zu verleihen. Der Vertreter des Marburger Bundes erklärte den Passanten, warum der Marburger Bund einen eigenen Weg geht. Leuner zum Thema Arbeitszeiten: »Für jeden Piloten und Busfahrer gelten ganz besondere Arbeitszeitvorgaben, für uns nicht.«
Die Fronten am Verhandlungstisch sind verhärtet, bedauert Mitte-Verwaltungsleiter Klaus Janssen, appelliert an beide Seiten, eine Eskalation zu vermeiden: »Wir brauchen rasch ein realistisches Ergebnis.«
Begonnen hatte der Vormittag für die Mediziner teils schon vor der regulären Arbeitszeit. Oberärztin Martina Pförtner: »Die Passanten haben viel Verständnis. Einige haben gesagt, wir sollen Unterschriften sammeln.« Am Vormittag sind erfahrungsgemäß viele Bürger zum Arzt unterwegs, kennen sich in der Materie aus. So wie Ellen Keller (78), die gerade vom Einkauf kommt: »Ich habe vollstes Verständnis. Ich brauchte vor Jahren als Schwerkranke ärztliche Hilfe, bin bestens versorgt worden. Dass es im System große Probleme gibt, ist offenkundig.«
Die Unterstützung im Krankenhaus reicht bis zu den Chefärzten. Beispiel Plastische Chirurgie: Da übernahm der Chef die Station, während die Kollegen am Demonstrationszug teilnahmen. Assistenzärztin Dr. Simone Brüner (34): »Wir sind schon um 6.45 Uhr angefangen, haben die Visite vorab durchgeführt. Bei uns ist niemand unversorgt.« Sprechstunde hatte auch in der Orthopädie der Chef persönlich. Sämtliche Schlüsselstellen wie Onkologie und Intensivmedizin blieben völlig unangetastet. Dafür ruhte in Rosenhöhe bis 11 Uhr der OP-Betrieb.
Während Klinik-Chef Dr. Johannes Kramer am Morgen öffentlich Bedenken geäußert hatte wegen der ersten Demonstration, Auswirkungen auf Arbeitsplätze befürchtete, legen die Mediziner besonderen Wert darauf, dass sie alle Aufgaben erledigten. Leuner: »Ein Drittel der Kollegen ist in den Ferien, ein Drittel zur Demonstration, aber ein Drittel erledigt alle anfallenden Dienste.« Erstmals verteilten die Mediziner des kommunalen Krankenhauses Flugblätter mit ihren konkreten Forderungen: Schluss mit Marathon-Diensten und einer Flut von arztfremder Bürokratie, dafür aber eine vollständige Bezahlung aller geleisteten Arbeit.
Der Demozug von der Klinik durch die Altstadt bis zum Jahnplatz war für die Mediziner in Bielefeld der Auftakt. Angesichts der komplizierten Verhandlungssituation, glaubt die Mehrzahl der Weißkittel, wird es eine Fortsetzung geben. Die nächste Großveranstaltung soll am Dienstag in Dortmund stattfinden. Wenn es dann bei Bielefelder Ärzten zu längeren Fehlzeiten durch die Demo-Teilnahme kommt, hält Verwaltungsdirektor Klaus Janssen Gehaltskürzungen für denkbar.

Artikel vom 21.07.2006