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Warst du gezwungen, den einzigen verfügbaren Mann zu nehmen, der sich dir anbot, oder war es eine bewusste Entscheidung, um mir Scherereien zu machen? Du hättest dir ein bisschen mehr Mühe geben können. Schließlich hast du einiges zu bieten. Du bist meine Tochter, das ist immerhin was. Nach meinem Tod wirst du eine ganz schön reiche Frau sein, falls ich mein Testament nicht ändere. Du verfügst über nützliche Erfahrungen im Haushalt. Wie ich höre, ist es heutzutage schwierig, eine gute Köchin zu finden, geschweige denn, sie zu halten, da wäre deine einzige echte Fähigkeit doch ein Anreiz.«
Sie hatte damit gerechnet, dass das Gespräch schwierig werden würde, aber nicht so. Auf diese beißende Wut, diese Erbitterung war sie nicht gefasst gewesen. Jede Hoffnung, dass er vernünftig reagieren würde, dass sie ruhig miteinander reden und gemeinsam planen könnten, was für sie alle am besten wäre, versank im Sturm der Verzweiflung. »Daddy, wir lieben uns. Wir wollen heiraten.«

S
ie war nicht gut genug vorbereitet. Ihr Herz stolperte beängstigend, als sie merkte, dass sie sich anhörte wie ein quengeliges Kind, das um Süßigkeiten bettelt.
»Dann heiratet doch. Ihr seid beide volljährig. Meine Einwilligung braucht ihr nicht. Ich gehe davon aus, dass es mit Tremlett keine sonstigen juristischen Komplikationen gibt.«
Da brach alles aus ihr hervor. Ihre unwahrscheinlichen Pläne, die glücklichen Zukunftsträume, die ihr, noch während sie ihr über die Lippen kamen, wie kleine verbale Steinchen der Hoffnungslosigkeit erschienen, die sie seinem unversöhnlichen Gesicht entgegenschleuderte, seinem Zorn und seinem Hass.
»Wir wollen dich nicht verlassen. Es muss sich gar nichts ändern. Ich wäre tagsüber bei dir. Und Dennis auch. Wir könnten eine zuverlässige Frau finden, die in meinem Teil des Hauses wohnt, damit du nachts nicht allein bist. Und auf Lesereise, könnten wir dich wie sonst auch begleiten.« Sie betonte noch mal: »Es muss sich nichts ändern.«
»Du würdest also tagsüber kommen? Ich brauche keine Zugehfrau oder Nachtschwester. Und falls doch, könnte ich mir selbst eine besorgen, bei angemessener Bezahlung. Du beklagst dich doch nicht etwa über dein Gehalt?«
»Du bist immer sehr großzügig gewesen.«
»Oder Tremlett sich über seins?«
»Wir haben nicht über Geld gesprochen.«
»Ihr seid wahrscheinlich davon ausgegangen, dass ihr weiter auf meine Kosten leben könnt, dass alles so bequem und komfortabel weiterläuft wie bisher.« Er schwieg kurz. »Ich habe nicht die Absicht, ein verheiratetes Paar zu beschäftigen.«
»Du meinst, Dennis müsste gehen?«
»Du hast gehört, was ich gesagt habe. Da ihr eure Pläne ja offenbar gründlich besprochen und meine Zukunft für mich geregelt habt, darf ich erfahren, wo ihr die Absicht habt zu wohnen?«
Ihre Stimme bebte. »Wir dachten, in DennisÕ Wohnung.«
»Nur dass es nicht Tremletts Wohnung ist, sondern meine natürlich. Ich habe die Unterkunft für ihn gekauft, als ich ihn eingestellt habe. Er mietet sie möbliert zu einem Spottpreis, und der Mietvertrag sieht eine Kündigungsfrist von einem Monat vor. Selbstverständlich kann er sie mir zum aktuellen Wert abkaufen. Ich habe keine weitere Verwendung für sie.«
»Aber die Wohnung ist doch inzwischen bestimmt das Doppelte von dem wert, was du 1997 dafür bezahlt hast.«
»Das ist sein und dein Pech.«

S
ie wollte etwas sagen, brachte aber kein Wort heraus. Zorn und ein Gefühl der Traurigkeit, das umso schrecklicher war, weil sie nicht wusste, ob es ihr selbst oder ihm galt, stieg ihr wie ekeliger Schleim die Kehle hoch, erstickte alles. Er hatte sich wieder abgewandt, starrte aus dem Fenster. Es war absolut still im Raum, nur das Rasseln ihres eigenen Atems war zu hören und plötzlich, als wäre dieser allgegenwärtige Klang eine Zeit lang verstummt, das dunkle Raunen des Meeres. Sie schluckte schwer, unerwartet und unheilschwanger, und fand ihre Stimme wieder. »Bist du dir so sicher, dass du ohne uns zurechtkommst? Weißt du wirklich nicht, was ich alles für dich tue, wenn du auf Lesereise bist? Die Hotelzimmer prüfen, dein Bad einlassen, für dich Beschwerden äußern, wenn Kleinigkeiten nicht in deinem Sinne sind, die Signierstunden mitorganisieren, deinen Ruf schützen als das berühmte Genie, das sich für seine Leser interessiert, dafür sorgen, dass dein Essen und dein Wein stets deinen Wünschen entsprechen? Und Dennis? Zugegeben, er ist dein Sekretär und Lektor, aber eigentlich ist er doch mehr, oder? Wie kannst du nur immer so stolz behaupten, dass deine Romane nicht überarbeitet werden müssen? Weil er dir dabei hilft. Nein, nicht nur beim Korrigieren, beim Überarbeiten. Äußerst behutsam, damit du dir nicht mal selbst eingestehen musst, wie wichtig er ist. Handlungsfäden sind nicht gerade deine Stärke, oder? Zumindest nicht in den letzten Jahren. Wie viele Ideen hast du Dennis zu verdanken? Wie oft benutzt du ihn als Testleser? Wer würde so viel für so wenig tun?«
Er drehte sich nicht um, zeigte ihr nicht sein Gesicht, doch auch mit dem Rücken zu ihr waren die Worte laut und deutlich zu vernehmen, obwohl ihr die Stimme fremd erschien.

D
u solltest deine Zukunftspläne mit deinem Liebhaber besprechen. Falls du dich tatsächlich auf ein Leben mit Tremlett einlassen willst, dann bitte, je eher, desto besser. In dem Fall erwarte ich nicht, dich je wieder in dem Haus in London zu sehen, und ich wäre dankbar, wenn Tremlett mir die Wohnungsschlüssel so bald wie möglich aushändigt. In der Zwischenzeit sprich mit niemandem darüber. Habe ich mich klar ausgedrückt? Mit niemandem. Diese Insel ist klein, aber sie ist groß genug, dass wir uns die nächsten vierundzwanzig Stunden nicht unter die Augen kommen müssen. Danach trennen sich unsere Wege. Ich bin hier noch für weitere zehn Tage angemeldet. Die Mahlzeiten kann ich in Combe House einnehmen. Ich werde die Barkasse für morgen Nachmittag reservieren, und ich erwarte, dass du und dein Liebhaber sie nehmt.«

7
Maycroft freute sich nicht gerade auf das Freitagsdinner. Eigentlich nie, wenn sich Gäste dazu angemeldet hatten. Nervös machte ihn nicht etwa deren Prominenz, sondern seine Aufgabe als Gastgeber, das Gespräch in Gang zu halten und dafür zu sorgen, dass der Abend ein Erfolg wurde. Wie seine Frau oft gesagt hatte, gehörte Smalltalk nicht eben zu seinen Stärken. Seine anwaltliche Vorsicht hinderte ihn daran, sich an der beliebtesten Form des Plauderns - gut informierter und leicht anzüglicher Klatsch und Tratsch - zu beteiligen, und so kämpfte er mitunter verzweifelt dagegen an, sich in Banalitäten zu flüchten und sich nach der Anreise eines Gastes zu erkundigen oder über das Wetter zu sprechen.

Seine Gäste, die alle in ihrem jeweiligen Bereich überaus erfolgreich waren, wussten bestimmt so manches Interessante aus ihrem Berufsleben zu erzählen, was er sich gern angehört hätte, aber sie waren ja auf die Insel gekommen, um ihrem Berufsleben eine Zeit lang zu entfliehen. Gelegentlich hatte es gute Abende gegeben, an denen der ein oder andere Gast die gebotene Diskretion vergaß und sich frei und leidenschaftlich äußerte. Normalerweise gab es keine Unstimmigkeiten. Die unverschämt Reichen und Berühmten konnten sich zwar nicht unbedingt gegenseitig leiden, immerhin kannten sie sich in den Spezialgebieten der anderen ganz gut aus. Maycroft konnte sich allerdings kaum vorstellen, was seine beiden heutigen Gäste ihrer gegenseitigen Gesellschaft würden abgewinnen können. Nach Olivers Ausbruch in seinem Büro und den Drohungen graute ihm bei dem Gedanken, dass er den Mann ein ganzes Dreigangmenü hindurch unterhalten sollte. Und dann war da Mark Yelland. Zwar war Yelland zum dritten Mal auf der Insel, aber er hatte sich noch nie zum Dinner angemeldet. Vielleicht gab es einen harmlosen Grund, warum er es an diesem Tag getan hatte, beispielsweise der Wunsch nach einer warmen Mahlzeit, doch Maycroft witterte Unannehmlichkeiten. Nachdem er seine Krawatte ein letztes Mal vor dem Spiegel gerichtet hatte, fuhr er mit dem Aufzug von seiner Wohnung im mittleren Turm hinunter in die Bibliothek, wo üblicherweise der Aperitif eingenommen wurde.

D
r. Guy Staveley und seine Frau Joanna waren bereits anwesend. Der Arzt stand mit einem Sherry in der Hand am Kamin, während Jo sich elegant auf einen der Sesselstühle drapiert hatte, ihr Glas noch unberührt auf dem Tisch neben sich. Sie wählte die Kleidung für das Dinner stets sorgfältig aus, vor allem, wenn sie länger fort gewesen war, als sei die bewusst betonte Weiblichkeit eine Art öffentliche Demonstration ihrer Rückkehr. Heute Abend trug sie einen Hosenanzug aus Seide mit schmal geschnittener Hose und kurzem Blazer. Die Farbe war dezent, ein blasses Grüngold. Helen hätte gewusst, wie diese Farbe hieß, sogar, wo Jo den Anzug gekauft und wie viel er gekostet hatte. Wäre Helen bei diesem Dinner an seiner Seite, er hätte keine Angst gehabt, Oliver hin oder her.
Die Tür öffnete sich, und Mark Yelland erschien. (wird fortgesetzt)

Artikel vom 03.08.2006