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Wie ein Tiefflug über das Ährenmeer

Bielefelds Landwirte fahren die Wintergerste ein - Erster Großeinsatz für die Mähdrescher

Von Michael Diekmann
und Hans-Werner Büscher (Fotos)
Bielefeld (WB). Die Luft im Cockpit ist stickig - 38 Grad trotz Klimaanlage. Im Rücken des Fahrers stampft der Antrieb des Dominators, vorn unter der Kanzel verschwindet das Ährenmeer auf 3,90 Metern Breite im Schlund der Mähspindel. Die Geräuschkulisse ist gewaltig, das Fahrgefühl faszinierend. Bernd Speckmann kontrolliert den Erntegiganten mit einer Hand: Mit der anderen ordert er per Handy den nächsten Kornanhänger.

Samstag zur Kaffeezeit: Bielefeld genießt das Wochenende. Auf Terrassen wird geklönt, manch einer vertreibt sich die Zeit im Schwimmbad. Heinrich Dingerdissen reibt sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn. Der Landwirt im Bielefelder Osten ist gerade im Erntestress. Während Nachbarlandwirt und Lohnunternehmer Bernd Speckmann mit seinem Mähdrescher Bahn um Bahn über die endlosen Felder mit Wintergerste »fliegt«, muss Hausherr Dingerdissen für die reibungslose Logistik sorgen.
»Wenn der Bunker mit mindestens 50 Zentner auf der Maschine voll ist, muss auch gleich ein Anhänger bereit stehen«, erklärt Speckmann, was Fachjournale den Landwirten einbläuen, um nicht nur ökologisch, sondern auch ökonomisch zu arbeiten. Einen Hektar mäht und drischt der Claas in einer Stunde, bei optimalen Bedingungen zehn am Tag. Werden die Ausfallzeiten vor dem Entladen zu groß, sind es schnell nur 8,5 Hektar. Speckmann dirigiert mit ausgefahrenem Füllstutzen an den Anhänger, öffnet die Förderschnecke und startet den Getreideregen. Die randvollen Wagen bringt Dingerdissen auf seinen Hof, füllt in den betriebseigenen Silo um.
Insgesamt 40 Hektar seines Betriebes bewirtschaftet Dingerdissen mit Getreide, davon 15 Hektar Wintergerste, weitere 15 Hektar mit Weizen, der nach wie vor wichtigsten Frucht auf den Feldern im Bielefelder Norden und Osten auf ziemlich fruchtbaren Böden. Zwischen Wintergerste und Weizen scheiden sich nicht nur die Verwendungszwecke, sondern in diesem Jahr auch die zu erwartenden Erträge. Wintergerste, vornehmlich für die Futtermittel, bringen gerade sehr ordentliche Erträge von bis zu 85 Doppelzentner auf den Hektar, im Süden 65. Zudem sorgen geringere Stände in den Speichern und hohe Nachfrage aus dem energetischen Sektor (Ethanol/Biogas) für eine aktive Preisgestaltung. Dingerdissen ist optimistisch, rechnet mit bis zu 9,50 Euro Erlös.
Ganz anders beim Weizen, der noch auf dem Halm steht. Der echte Hochsommer, der gerade den Ablauf der Gerstenernte optimiert hat, wird bei weiterem Anhalten dafür sorgen, dass die Weizenqualität deutlich hinter den Erwartungen zurückbleibt. Lange Hitze und Trockenheit, erklärt Dingerdissen, lassen die Frucht »zumachen«, die Produktion von Nährwert im Korn einstellen. Daran würde auch Regen in den nächsten Tagen und Wochen nichts ändern. Das kann, erkärt Dingerdissen, nur noch Zuckerrüben und Mais verbessern, die aktuell 50 Prozent hinter dem Vorjahresstand zurückliegen.
Viel Zeit für Kalkulationsaufgaben hat Vollerwerbslandwirt Dingerdissen in diesen Tagen nicht. Parallel zur Getreideernte, für die der Ubbedisser sogar am Sonntag mit dem Steyr-Traktor unterwegs ist, läuft auf seinem Hof die Einfuhr der Strohbünde. Und da warten die Erntehelfer auch auf Nachschub am Förderband...

Artikel vom 17.07.2006