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Blinde »sehen« in
Bielefeld Bilder

Einzigartige Führung der Kunsthalle

Von Dietmar Kemper
Bielefeld (WB). Anfangs vermied Christiane Heuwinkel das Wort »sehen« konsequent. Die 45-jährige Museumspädagogin führt in der Kunsthalle Bielefeld Blinde und Sehbehinderte durch die Ausstellungen und wollte die Menschen eigentlich nicht unnötig auf ihre Beeinträchtigung hinweisen.
Christiane Heuwinkel erwähnt jedes Detail.

Aber dann berichtete eine blinde Frau selbst darüber, welches Bild sie sich zuletzt »angeguckt« habe. »Blinde rückübersetzen das Gehörte in ein Bild«, sagte Heuwinkel dieser Zeitung. Sie sähen Kunst mit dem geistigen Auge. Die Führungen für Blinde und Sehbehinderte in der Kunsthalle sind bundesweit einmalig. Ähnliches gibt es nur für Skulpturen oder Repliken von Werken, die ertastet werden dürfen, nicht aber wie in Bielefeld für Bilder.
Am Samstag hält Heuwinkel wieder eine Führung ab und stellt einer 30-köpfigen Gruppe die Ausstellung »Vom Bauhaus zur Neuen Welt: Josef Albers und Laszlo Moholy-Nagy« vor. Zur Hälfte besteht die Zuschauer-Gruppe aus Blinden und Sehbehinderten, zur Hälfte aus Begleitpersonen. Menschen, denen von Kindheit an das Augenlicht fehlte, sind nicht dabei. Früher gesehen und ein Gefühl für Farben entwickelt zu haben, sei unabdingbar, um den Museumsbesuch als Gewinn zu erleben, betont Heuwinkel.
Ihre Zuhörer erblindeten als Folge eines Unfalls oder einer Krankheit. Kunst regt ihr Vorstellungsvermögen an, berührt sie. Porträts und gegenständliche Bilder können sie leichter erfassen als Abstraktes. Weil Blinde ihr »keine Ungenauigkeit durchgehen lassen«, beschreibt Heuwinkel so präzise wie möglich. »Wir Sehende haben einen Scanner-Blick, erfassen sofort Größe und Helligkeit des Raumes und richten dann das Augenmerk auf Details, Blinde dagegen kennzeichnet eine Peu-a-peu-Wahrnehmung«.
Deshalb erläutert Heuwinkel zuerst, wie der Raum gestaltet ist, wie er beleuchtet wird, wie groß das Kunstwerk und dessen Rahmen ist, welche Maltechnik und Farben verwendet wurden. Bei der 90-minütigen Führung wählt die Museumspädagogin drei Bilder aus und bespricht diese intensiv. Die Führung am Samstag kostet acht Euro (Telefon: 0521/32999500).

Artikel vom 12.07.2006