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Sprachkomik auf
höchstem Niveau

Otto Sander liest in Marienmünster

Otto Sander liebt den Humor Becketts. Foto: Braun

Von Wolfgang Braun
Marienmünster (WB). Gleich mit zwei höchst profilierten und vielfach preisgekrönten Stars der deutschen Theater- und Filmwelt konnte das OWL-Literatur- und Musikfestival »Wege durch das Land« in der Abtei Marienmünster aufwarten. Otto Sander (»Das Boot«, »Der Himmel über Berlin«) las vor ausverkauftem Haus Samuel Beckett, Angela Winkler (»Die verlorene Ehre der Katharina Blum«, »Ediths Tagebuch«) eine Erzählung von Ingeborg Bachmann.
In den Textpassagen der frühen Beckett-Erzählung Murphy (1938) und des Romans Molloy (1951) schlummert ein irrwitziger Humor. Otto Sander (65) akzentuierte die Sprachkomik genüsslich. Nicht umsonst nennt man ihn, der neben seiner Karriere als Bühnen- und Filmschauspieler auch noch als Synchronsprecher beeindruckte, respektvoll »The Voice«. Mit seiner knorrig-kräftigen, aber überaus wandlungsfähigen Stimme führte er das Beckettsche Sprachballett auf: Er tanzte es lesend. Seit Jahren trägt er Texte des Iren, der im April 100 geworden wäre, vor. Doch jedes Mal scheint er sich erneut diebisch an den absurden Szenarien zu erfreuen. So etwa daran, dass die Asche von Murphy statt in einer Urne in einer Papiertüte und dann in einer Londoner Kneipe landet, mit der man zu vorgerückter Stunde Fußball spielt und deren Inhalt morgens mit dem Kehricht entsorgt wird.
Ganz anders ist menschliches Elend in der Ingeborg-Bachmann-Erzählung »Alles« präsent, die die frühverstorbene Autorin 1959 bei einer Tagung der »Gruppe 47« vortrug. Denn der kleine Junge Fipps entwickelt sich zum Leidwesen des Vaters, aus dessen Ich-Perspektive erzählt wird, ganz normal. Der hatte davon geträumt, dass sein Kind von der Mutter in die starren Systeme der Sprache, der Institutionen und Rituale hineindressiert wird, statt die Sprache der Blumen, Gesten und Gefühle zu erlernen. Mit Einfühlungsvermögen in die Leiden des träumerischen Helden vermittelte Angela Winkler (62) einen authentischen Eindruck von der Text-Atmosphäre.

Artikel vom 10.07.2006