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Der Sportsteckbrief
Ende der 80-er Jahre zog ein junger Rumäne aus, um sein Glück auf Tennisplätzen zu suchen. Erst in Deutschland, dann in der ganzen Welt. Längst ist Andrei Pavel fündig geworden, sportlich als zwischenzeitlich 13. der Weltrangliste und privat in Borgholzhausen, wo er mit Ehefrau Simone und den beiden Kindern Caroline (7) und Marius (4) einen Bauernhof im Ortsteil Casum bewohnt. Wenn am kommenden Sonntag der TC Blau-Weiß Halle auf der schmucken Anlage an der Weststraße in die Bundesliga-Saison startet, schließt sich für Pavel der Kreis. 1991 begann hier der zunächst alles andere als steile Weg nach oben.


Name: Andrei Pavel
Geburtsdatum:27. Januar 1974
Geburtsort:Constanta (Rumänien)
Beruf:Tennis-Profi
Größe:1,83 Meter
Gewicht:84 Kilo
Lieblingsessen:Sushi, Fisch
Getränk:Apfelschorle und gelegentlich ein Glas Wein
Hobbys:Fußball, Basketball, Golf, Angeln

TC Blau-Weiß Halle: Als ich mit 17 nach Halle gekommen bin, gab es total andere Bedingungen - für das Tennis hier vor Ort und für mich. Die erste Mannschaft spielte Regionalliga und im Stützpunkt waren neben mir junge Leute wie Dreekmann oder Gessner. Ich hatte damals noch keine Familie und war viel allein. Ich galt als einer der besten jungen Spieler der Welt, gewann die Europameisterschaft und das Juniorenturnier der French Open. Doch dann folgten Ellbogen- und Fußverletzungen. Mit 19 stand ich schon kurz vor meinem Karriereende. Das waren viel härtere Zeiten als heute. Mittlerweile wohne ich hier, ist diese Gegend zu meinem Zuhause geworden - und Halle zu einem wichtigen Standort der Profi-Szene. Die Gerry Weber Open sind das Nonplusultra, und das Stadion ist einfach phantastisch.

Haifischbecken Profitennis: Zu Beginn, so zwischen 17 und 20, habe ich mich sehr schwer getan. Ich war aus Rumänien weggegangen, weil meine Eltern nicht das Geld hatten, um mich zu unterstützen. Andererseits standen sie aber immer hinter mir. In Halle habe ich den ganzen Tag Tennis gespielt und abends war keiner da, der mit dir spricht oder dich mal in den Arm nimmt. Erst als ich die Top 100 erreicht hatte und meinen alten Trainer aus Rumänien dazuholen konnte, hat es sich gut entwickelt. Ich würde meinen Kindern nicht raten, einen Bogen ums Profitennis zu machen. Sollten sie die tolle Möglichkeit bekommen, mit ihrem Sport Geld zu verdienen, lege ich ihnen keine Steine in den Weg. Es ist kein leichtes Leben, kann aber viel Spaß machen, wenn ein Platz unter den ersten 150 dabei herausspringt.

Meine Familie ...ist die Nummer eins. Simone ist eine tolle Frau, hat mir immer Sicherheit und Vertrauen gegeben. Nach meiner Ellbogenverletzung sind wir damals zusammen nach Amerika geflogen. Wir wollten gemeinsam schauen, ob es mit meiner Karriere noch etwas wird. Wenn nicht, hätten wir dort Freunde besucht und einfach nur Spaß gehabt. Heute gibt sie mir schonmal den einen oder anderen Rat, was die Turnierplanung angeht.

Viertelfinale French Open 2001: Gegen Alex Corretja wurde das Match bei 6:7, 6:7 und 5:5 gegen mich wegen Dunkelheit abgebrochen. Simone war zu dem Zeitpunkt hoch schwanger, jeden Tag konnte unser Sohn auf die Welt kommen. Nach dem Abbruch war es dann soweit. Ich bin mit meinem Physiotherapeuten Jan Feldhaus von Paris nach Halle gefahren - acht Stunden im Auto. Normalerweise schafft man das in fünfeinhalb, aber wir hatten Staus in Frankreich und Belgien. Um eine Stunde habe ich Marius' Geburt verpasst. Wir sind dann in derselben Nacht zurück und haben in der Umkleidekabine geschlafen. Das Match habe ich verloren. Obwohl ich den Oberschiedsrichter gebeten hatte, niemandem etwas zu verraten, war der Presse-Raum hinterher voll. Statt der üblichen zehn waren jetzt 70 Journalisten da. »Ihr wollt mit mir doch nicht über die letzten beiden Spiele sprechen?« habe ich gefragt. Für mich war die ganze Aktion eine Selbstverständlichkeit. Ich wollte auf gar keinen Fall in die Schlagzeilen.

Größter Er-folg: Neben meinem ersten Turnier-Sieg auf der Tour 1998 in Tokio natürlich der Erfolg beim Masters-Series-Turnier 2001 in Montreal. Ich habe nacheinander Andy Roddick, Tommy Haas und Patrick Rafter geschlagen. Grundsätzlich werte ich es als Erfolg, seit acht Jahren beständig in den Top 100 zu spielen. Da bin ich schon ein bisschen stolz drauf.

Größte Niederlage: Jede Niederlage schmerzt natürlich und ist für mich heftig, weil ich es hasse zu verlieren. Zwei taten aber besonders weh. Als ich Weltranglisten-13. war, habe ich bei zwei Turnieren erst gegen Ljubicic und dann gegen Johannson verloren. Beide Male lag ich vorne und hätte es mit einem Sieg in die Top Ten schaffen können.

Mannschaftswettbewerbe: Im Team macht es immer richtig Spaß. Es ist ein gutes Gefühl, wenn einen die anderen an einem schlechten Tag anfeuern oder mit ihren Siegen die eigene Niederlage wieder wettmachen. Das Größte ist natürlich, für dein Land im Davis Cup zu spielen. Deswegen habe ich auch keinen deutschen Pass. Ich bin Rumäne und möchte für Rumänien spielen.

Marcos Baghdatis: Die Niederlage in Wimbledon war einfach Super-Pech. Mein Rücken war blockiert, ich konnte meine Schuhe nicht mehr binden und musste nachher auch das Doppel absagen. Dass er jetzt im Halbfinale steht, belastet mich nicht. Es ist hypothetisch zu sagen, dass ich genauso weit gekommen wäre. Daran ändert auch mein Sieg gegen ihn bei den GWO nichts.

Fußball-WM: Da schlägt mein Herz für Deutschland. Mein holländischer Physio konnte es nicht glauben, dass ich mich so freue. Das Halbfinale war unglaublich. Italien hat super gespielt, aber diese späten Tore... Im Spiel um Platz drei würde ich einige Reservisten auflaufen lassen. Nach der Niederlage ist es für die anderen bestimmt nicht einfachg, sich wieder zu motivieren. Weltmeister wird Italien.

Stärken und Schwächen: Ich denke positiv und habe Spaß am Leben. Eine Schwäche ist sicherlich meine Gutgläubigkeit.

Borgholzhausen: Wenn ich nach Hause komme, freue ich mich immer, wie ruhig es ist und wie nett die Menschen sind. Bei uns ist es unglaublich schön. Ich hoffe, dass wir auch nach meiner Karriere in Casum wohnen bleiben können. Das hängt allerdings davon ab, welche Richtung ich dann einschlagen werde.

Aufgezeichnet von
Hans-Heinrich Sellmann

Artikel vom 08.07.2006