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Vom Bohren und anderen Qualen

Stadtmuseum präsentiert »Au Backe«: Ausstellung zur Geschichte der Zahnmedizin

Gütersloh (ag). Wer vor dem Zahnarztbesuch Angst hat, den kuriert das Stadtmuseum. Mit der an diesem Sonntag öffnenden Ausstellung »Au Backe« gibt das Museum einen spannenden Einblick in die Geschichte der Zahnmedizin - und in viele Jahrhunderte des oralen Leidens.

Man mag ja angesichts der neusten politischen Entwicklungen in Sachen Gesundheitsreform nur die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, doch wer die neue Ausstellung im Stadtmuseum besucht, wird sich schnell immens darüber freuen, im 21. Jahrhundert zu leben. Korkenziehern ähnelnde Handbohrer sind nur einige kleine Beweise dafür, dass Menschen in früherer Zeit entsetzlich leiden mussten, wenn Scharlatane oder nur rudimentär ausgebildete »Barbierchirurgen« ihnen beispielsweise auf Jahrmärkten mit höchst eigenwilligen Marterwerkzeugen aus Eisen zu Leibe rückten. Und wer hätte sich schon gerne im 13. Jahrhundert seine Zahnwürmer (Maden) durch »Räucherung« austreiben lassen?
»Diese Ausstellung ist eine wunderbare Sache, weil das Thema wirklich jeden betrifft«, schwärmt Museumsleiter Dr. Rolf Westheider, der die vom Bauernhausmuseum Bielefeld konzipierte Ausstellung in der Nachbarstadt gesehen hatte und gleich alle Hebel in Bewegung setzte, um die »medizinischen Folterinstrumente« dem Publikum in Gütersloh präsentieren zu können. Und dabei war Eile geboten, denn demnächst werden die wertvollen Exponate nur noch in Helsinki, Finnland, zu sehen sein. Die Ausstellungsstücke stammen aus der Sammlung von Wilhelm Bulk, dem ehemaligen Inhaber der Bielefelder zahnmedizinischen Großhandlung Bulk. Da das Zahnhaus Bulk seit einigen Jahren einem finnischen Konzern gehört, soll die Sammlung demnächst nur noch am dortigen Stammsitz zu sehen sein.
Auch wenn die Ferienzeit nicht optimal für eine neue Ausstellung ist, glaubt Dr. Westheider dennoch an reges Publikumsinteresse - und das nicht nur, weil er 600 Einladungen an Zahnärzte in der Region verschickt hat.
Ein Besuch lohnt sich auf jeden Fall, denn neben interessanten historischen Informationen, gibt es auch echte Kuriositäten zu bestaunen, wie zum Beispiel einen frühen Lachgas-Apparat. Lachgas war eine der ersten Formen der Betäubung bei der Zahnbehandlung und wurde von findigen Geschäftsmännern auch schnell als Party-Droge unter das Volk gebracht.
Echte Schmuckstücke sind auch der Behandlungsstuhl eines reisenden »Zahnarztes« im amerikanischen Bürgerkrieg oder ein ähnlicher Stuhl, der einst im Kloster Varensell gelagert wurde und im Rietberger Raum viel Schmerz und Leid »erlebt« haben müsste.
Angst einflößend ist auch das frühe Röntgengerät aus den 1920er Jahren, das zwar einen enormen Fortschritt in Sachen Diagnostik bedeutete, aber auch seine Tücken hatte. Dummerweise war damals noch nicht bekannt, wie gefährlich solche Strahlen sind, sodass die Lebenserwartung der Menschen, die diese Geräte bedienten, auffallend gering war. Auch der an dem Gerät frei liegende, nicht isolierte Draht, durch den 100 000 Volt schossen, könnte wohl so manches Leben rasch beendet haben.
Zur Ausstellung gibt es auch eine sehr lesenswerte Broschüre, die der Bielefelder Kunsthistoriker Wolfgang Schröder erstellt hat, der auch maßgeblich an der Gestaltung der Ausstellung mitgewirkt hat. »Au Backe - Vom Zahnreißen zum Zahnerhalten« wird an diesem Sonntag, 9. Juli, um 11.30 Uhr eröffnet und ist bis zum 3. September zu sehen.

Artikel vom 08.07.2006