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Das Wort zum Sonntag

 Von Hans-Georg Klötzer, Pfarrer und Schulreferent


»Der Almbauernhof, auf dem wir wohnten, war nur über eine schmale und kurvige Forststraße zu erreichen. Vierhundert Höhenmeter über dem Dorf. Der Forstweg war geräumt; an den Seiten aber war der Schnee noch hüfthoch aufgeschichtet. Im Winter diente dieser Weg als Rodelbahn, aber im letzten Urlaub kurz vor Ostern war es schon wärmer und es lag nur noch wenig Schnee. Man kam mit dem Auto recht gut hinauf. Wir freuten uns auf gemütliche und erholsame Tage auf der Alm hoch über dem Inntal und auf gut präparierte Pisten im höher gelegenen Skigebiet. Zudem versprach die Wettervorhersage sonnige Tage. Die erste Nacht war sternenklar - und kalt. Es hatte ordentlich gefroren. Wo tagsüber die Sonne den Schnee am Straßenrand schmelzen ließ, war des Morgens der Weg zum Ort hinunter an etlichen Stellen spiegelglatt, teilweise auf bis zu hundert Metern Länge.
Also: Ketten aufziehen und vorsichtig bergab. So eine Rodelbahn kann im Schritttempo ganz schön lang werden! Und die Ketten griffen auf dem blanken Eis auch nicht so wie ich erwartet hatte. So verging fast eine halbe Stunde bis wir unten im Dorf waren - schließlich mussten die Ketten auch wieder abgenommen und verstaut werden. Nahezu eine Stunde Zeitverlust am Tag durch die Kettenmontage! Und wenn man abends noch mal ins Dorf wollte? Diesen Umstand fand ich ziemlich ärgerlich.
Abends fragte ich den Almbauern, wie er denn mit seinem Auto rauf und runter käme, schließlich führe er doch öfter am Tag ins Dorf. Und auf dem Hof hatte ich schon gesehen: Er fuhr ohne Ketten. Seine Antwort war kurz und knapp: ÝFahr ruhig ohne. Vor der Eisplatte musst Du langsam werden und dann: Lass einfach laufen! Nicht bremsen! In den Kurven nur lenken - und irgendwann ist das Eis zu Ende und dann kannst Du wieder ordentlich abbremsen. Das geht, glaub mir. Machen wir alle so. Und schmunzelnd fügte er noch hinzu: Du musst nur Hoffnung und Vertrauen haben! Gottvertrauen!Ü
Hoffnung und Vertrauen haben, dass es im Leben nach schwierigen, dunklen und bedrohlichen Wegabschnitten auch wieder gut weitergeht - diese Einstellung ist mir sicher nicht unbekannt! In mehreren Predigten habe ich gewiss schon Ähnliches gesagt. Nach jeder dunklen Nacht kommt ein neuer Tag! Aber in diesem ganz konkreten Zusammenhang? Irgendwann ist das Eis zu Ende - ja, aber wann? Und wenn mir just dort der Postbote entgegenkommt? Hmm. Sicher ist sicher, meinte die eine Stimme in mir. Wer langsam rutscht, kommt auch zum Ziel. Doch die andere erwiderte sogleich: Vertraue drauf! Du hast doch gerade gehört, es geht auch ohne Schneeketten.
Ohne eine gewisse Portion Vertrauen, dass es im Leben Ýschon gut gehenÜ wird, kann man nicht leben. Zu viele Menschen verzehren sich in steter Angst um die alltäglichen Dinge! Aber: Ist es nicht zu einfach, die Bewältigung jeglichen Problems mit reinem Gottvertrauen lösen zu wollen? Schließlich bin ich selbst für meine Entscheidungen - und auch die Fehlentscheidungen verantwortlich!
Die nächste Nacht war auf der Alm wieder bitterkalt... Und nun frage ich: Wie wären Sie am nächsten Morgen ins Tal gefahren?«

Artikel vom 08.07.2006