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Das Wort zum Sonntag

Von Pfarrer Michael Wille, Höxter


Deutschland, seine Gäste, ja weite Teile unserer Welt befinden sich im Fußballfieber. So manch gutes Match erlebten wir schon, haben uns an Fairness und gutem Teamgeist einer Mannschaft begeistert, freuten uns natürlich über den Erfolg unserer Mannschaft in der Anfangsphase der WM, verdrückten so manche Träne nach dem verlorenen Spiel.
Wer keine Karten mehr bekam, der verfolgte Spiel um Spiel auf dem häuslichen Bildschirm, wer ein Gemeinschaftserlebnis besonderer Art genießen wollte, der pilgerte zu den zahlreichen öffentlichen Leinwänden. In Berlin befindet sich wohl die größte Fanmeile zwischen Brandenburger Tor und Siegessäule.
Nur wenige hundert Meter von dieser großen Menschenmasse entfernt, tagt eine wesentlich kleinere Versammlung. Dort im Bundeskanzleramt wird in Marathonsitzungen um Entscheidungen gerungen. Ein ganz anderes Spiel. Die hohe Politik bemüht sich um Lösung der angestauten Probleme. Wahrlich kein leichtes Spiel. Die Liste der abzuarbeitenden Probleme ist lang, keine beneidenswerte Arbeit. Es geht um das Wohl und Wehe von Millionen Menschen.
Bedrückend ist nach wie vor die anhaltende Massenarbeitslosigkeit. Millionen von Menschen sind ohne berufliche Tätigkeit, sie wollen etwas leisten, aber sie dürfen und können es nicht, sie sind gleichsam ausgegrenzt. Nicht nur der schmale Geldbeutel drückt auf das Gemüt, wer keine Arbeit hat, bekommt unter Umständen das Gefühl - je länger je mehr - wertlos, ja überflüssig zu sein. Arbeit hat eben nicht nur mit Broterwerb, sondern auch mit Anerkennung, Ansehen und Lebensniveau zu tun.
Das biblische Zeugnis rechnet insgesamt damit, dass der Mensch ein Arbeitender ist. Uns ist das Paradies auf Erden nicht verheißen, denn die Arbeit ist oft bestimmt von Härte und Mühsal, in der sie getan werden muss. Aber die Arbeit ist für jedermann geboten. Auch der Apostel Paulus ermahnt die Gemeinde in Thessalonisch zu arbeiten und an ihren und an den Unterhalt des Nächsten zu denken.
Das Gefühl etwas leisten zu müssen, das aus unserem Inneren spricht und uns von außen anrührt, leitet uns gewiss nicht fehl. Nach dem Willen Gottes haben wir eine Leistungspflicht gegenüber dem Nächsten. Und hier erscheint eine neue Gewichtung im Verständnis von Arbeit. Mein Auftrag und Dienst sollen dem Nächsten und der menschlichen Gemeinschaft zu Gute kommen. Demzufolge nicht nur Arbeit, damit ich mir ein schönes Leben leisten kann, sondern ich helfe meinem Nächsten durch meine Arbeit. Die Bestätigung, die ich auf Grund meiner Leistung erfahre, tut mir wohl, ist Balsam für meine Seele, Anerkennung hat große Bedeutung für mein Selbstwertgefühl.
Aber ist es wirklich die Leistung, die unseren Wert als Mensch bestimmt? An der Gestalt des Jesus von Nazareth wird deutlich, dass Wert und Würde eines jeden Menschen allein von Gott herrühren. Christus nahm sich besonders derer an, die in den Augen der anderen wenig Wert hatten. Er ließ sie etwas wert sein. Er bejahte sie ohne Vorleistungen oder Bedingungen. Sein Ja zu uns verleiht uns unseren Wert, und dass er uns annimmt so wie wir sind, davon leben wir.
Was Christus uns gewährt, sollten wir auch einander gewähren: uns gegenseitig annehmen, aufrichten, Wertschätzung zugestehen, ermutigen, trösten. So können wir als Gemeinde Jesu zeigen und glaubhaft machen, wie viel wir einander wert sind: Gott fragt sehr wohl nach unserer Leistung, aber er beurteilt uns nicht danach.

Artikel vom 08.07.2006