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3:8 schreckte jungen Fan nicht ab

Lüchtringer Manfred Mischer bei WM 1954 und 2006 live im Stadion

Von Sylvia Rasche
Lüchtringen (WB). »Die Niederlage hat Sepp Herberger bewusst in Kauf genommen«, sagt Manfred Mischer überzeugt und holt eines seiner Fußball-WM-Alben aus dem Nachbarzimmer. »Hier, gucken Sie sich mal die Aufstellung an. Da stand praktisch die B-Elf auf dem Platz.« Besagte Niederlage war nicht irgendeine, sondern das legendäre 3:8 der deutschen Nationalmannschaft gegen Ungarn in der WM-Vorrunde 1954. Manfred Mischer war damals 17 Jahre alt und in Basel im Stadion. Heute, 52 Jahre später, ist er noch genauso fußballbegeistert - und war bei der aktuellen WM in Dortmund und Hannover ebenfalls live dabei.

Karten für die deutsche Nationalmannschaft hat er zwar nicht bekommen, »aber immerhin war mit Polen gegen Costa Rica ein Spiel der deutschen Gruppe dabei«, erzählt Manfred Mischer. Zuvor hatte er in Dortmund die Vorrundenpartie Schweden gegen Trinidad&Tobago live verfolgt und sich von der ausgelassenen Stimmung im Stadion anstecken lassen. »Das war ganz anders als 1954, viel farbenfroher«, berichtet der ehemalige Oberliga-Fußballer (TuSpo Holzminden). Damals in Basel hat er nicht viel vom eigentlichen Spiel mitbekommen. »Im Stadion gab es nur Stehplätze. Da hatte ich mit meinen 1,60 Metern schlechte Karten. Trotzdem war die Reise ein unvergessliches Erlebnis«, erzählt der Fußball-Obmann der SG Albaxen/Lüchtringen. Mit einem klapprigen Bus sei er damals zwölf Stunden unterwegs gewesen und nach dem Spiel die zwölf Stunden gleich wieder nach Hause gefahren. »Mehr konnte ich mir nicht leisten. Ich war noch in der Lehre«, erinnert er sich. Kurz vor seinem WM-Ausflug hatte der junge Manfred Mischer mit seinem damaligen Club Hertha Lütgenade ein Freundschaftsspiel gegen die Jugend des Hamburger SV »hoch« verloren. Im Team des HSV spielte Uwe Seeler, der nur knapp an der Nominierung für das WM-Aufgebot vorbeigeschrammt war. Im Dezember 1954 durfte »Uns Uwe« im Wembley-Stadion gegen England ran - auf der Tribüne jubelte Manfred Mischer seinem vorherigen Gegenspieler zu. »Im Stadion waren 11000 Deutsche, die in fünf Sonderzügen angereist waren. Zugfahrt, Hotel und Eintrittskarte kosteten damals 138 Mark, die mir meine Mutter geschenkt hatte«, erinnert sich Manfred Mischer genau. Wie schon seine Fan-Premiere in der Schweiz ging auch diese Partie der deutschen Mannschaft verloren.
Nach einer weiteren Niederlage gegen die Sowjetunion in Hannover 1956 durfte der Lüchtringer in Wien 1957 endlich den ersten Sieg einer deutschen Nationalmannschaft live erleben. »Wir haben 3:2 im Wiener Prater-Stadion gewonnen«, berichtet Mischer, der fortan allerdings aus familiären Gründen (vier Kinder) vom Stadion-Fan zum Fernseh-Fan wurde. 1974 verfolgte er die WM in Deutschland nur aus der Ferne, war zwischen dem Österreich-Spiel 1957 und der aktuellen WM nur bei zwei Länderspielen live vor Ort. »Dafür habe ich einige Bundesligaspiele und jede Menge Kreisliga-Spiele gesehen«, erzählt der Lüchtringer.
Sein eigener Spielerpass von 1959 hängt im Büro an der Wand, daneben Erinnerungen wie Eintrittskarten und Wimpel sowie ganz frisch die Tickets der FIFA-WM 2006. In Dortmund beeindruckte ihn die Fan-Freundschaft zwischen Schweden und Trinidad. »Wir sind lange im Stadion geblieben. Als wir raus kamen, haben wir beobachtet, wie Anhänger beider Teams nach dem 0:0 gemeinsam vor ihren Wohnmobilen gegrillt haben«, stellt der Familienvater heraus.
In Hannover beim Polen-Spiel begab er sich auf Spurensuche in der eigenen Vergangenheit. Seine ersten Kindheitsjahre verbrachte Manfred Mischer in der Gegend um Jelena Gora in Polen. »Aus meinem Geburtsort habe ich dort niemanden gefunden. Dafür haben mir Fans aus Danzig ihre Polen-Fahne geschenkt«, freut sich der 69-Jährige. Das WM-Finale verfolgt der Lüchtringer am morgigen Sonntag am Bildschirm und wird dann Italien die Daumen drücken. »Die Italiener waren gegen Deutschland so stark, sie haben den Titel verdient.« Auf ein Happy-End wie bei seiner ersten Live-WM 1954 muss der Lüchtringer diesmal verzichten. Sein Fazit: »Schön war es trotzdem«.

Artikel vom 08.07.2006