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Als Nebenkläger gut beraten

Anwaltliche Vertretung der Opferinteressen im Strafverfahren

Von Andreas Stuke
Viele, die Geschädigte einer Straftat geworden sind, wegen der später gegen den Täter eine Gerichtsverhandlung beim Strafgericht durchgeführt wurde, haben möglicherweise eine befremdliche Erfahrung gemacht: Beim Hauptverhandlungstermin wird der Geschädigte als Zeuge mit den anderen Verfahrensbeteiligten aufgerufen und er wird dann »quasi zur Begrüßung« vom Richter darüber intensiv belehrt, dass es unter schwerer Strafandrohung steht, wenn man bei Gericht als Zeuge nicht die Wahrheit sagt (als ob einem auf der Stirn geschrieben steht, dass man gleich drauflos lügen wird).

Danach findet man sich - vielleicht für lange Zeit - auf dem Gerichtsflur wieder und wartet. Die Dinge, die im Gerichtssaal vor sich gehen, bekommt man überhaupt nicht mit. Man weiß nicht um die Aussage des Täters und ob er sich geständig und reuig oder eher kämpferisch zeigt, oder um die sonstigen Hinweise oder Erörterungen im Gerichtssaal.
Entweder wird man dann nach längerer Zeit in den Saal gerufen und bekommt lapidar mitgeteilt, dass »die Aussage heute bzw. überhaupt nicht benötigt wird« und dass man entlassen ist, oder man muss eben doch aussagen. Sofern man aussagen muss, kann es sein, dass man von einem Verteidiger attackiert wird, der versucht, einen unglaubwürdig zu machen. Sofern die Verhandlung - aus welchem Grund auch immer - nicht öffentlich ist, darf man nach seiner Aussage nicht einmal im Gerichtssaal verweilen, man wird »nach Hause geschickt« und rätselt über den Ausgang des Verfahrens. All dieses ist keine schöne Erfahrung. Man fühlt sich zum Verfahrensobjekt herabgesetzt. Man müsste schon »Profi-Zeuge« sein, um darüber hinweg zu sehen.
Eigentlich bietet die Strafprozessordnung seit 20 Jahren wirksame Mittel, die dem Geschädigten bzw. Opfer in seiner Rolle eine stärkere Verfahrensstellung einräumen. Diese Mittel werden häufig nur nicht ausgeschöpft. Die einschlägigen Vorschriften finden scheinbar wenig Beachtung.
Zunächst sind j e d e m Verletzten - wenn auch nur auf seinen Antrag - sowohl eine Einstellung des Verfahrens als auch der Ausgang des gerichtlichen Verfahrens mitzuteilen, soweit es ihn betrifft. Ferner ist ihm auf seinen Antrag grundsätzlich mitzuteilen, ob gegen den Täter freiheitsentziehende Maßnahmen angeordnet werden oder beendet sind oder ob sich der Täter auf Hafturlaub oder im Freigang befindet. Diese Anträge müssten gestellt werden.
Etwas besser gestellt war schon immer - auch vor Einführung der neueren Opferschutzvorschriften - derjenige, dem das so genannte Recht auf Erhebung einer Nebenklage zusteht. Dieses Recht haben Opfer von Sexualstraftaten, von Beleidigungsdelikten, Körperverletzungen beinahe jeder Art bis hin zur versuchten Tötung, ferner Opfer von Taten gegen die persönliche Freiheit oder Betroffene nach dem Gewaltschutzgesetz, natürlich auch Hinterbliebene des Opfers von Tötungsdelikten, dazu Geschädigte von Verstößen gegen Wettbewerbsver- bzw. -gebote. Letztlich kann auch Nebenklage erheben, wer z. B. im Straßenverkehr sehr schwer verletzt und damit lange nach dem Unfall noch beeinträchtig ist oder sein wird. Es handelt sich dabei also immer um Verletzte von Delikten, die den höchstpersönlichen Bereich des Opfers stark und nachhaltig berühren.
Solche Geschädigten mussten aber immer »aktiv« werden, indem sie sich als Nebenkläger der Anklage der Staatsanwaltschaft anschlossen, damit sie eine bessere Verfahrensstellung erhielten. Erhebung der Nebenklage heißt, dass ein Anwalt für einen Geschädigten wie ein bzw. neben dem Staatsanwalt auftritt und die Beweisaufnahme mit begleitet, nach der Beweisaufnahme ein Plädoyer hält und auch einen Antrag auf Ausspruch einer bestimmten Strafe stellt.
Letzteres ist aber nicht immer gewollt. Viele Geschädigte wollen nur, dass sie von dem Lauf des Verfahren ausreichend Kenntnis bekommen, dass ihnen ein Anwalt zur Seite steht, der für sie Akteneinsicht nimmt, sie auf die Hauptverhandlung vorbereitet und mit ihnen dort hingeht und sich sonst um den Ausgang des Verfahrens kümmert. Eine »allzu aktive« Rolle bei der Herbeiführung einer Bestrafung des Täters kann nämlich auch schädlich sein und den späteren Rechtsfrieden eher verhindern oder zumindest hemmen.
Die Möglichkeit, vorwiegend passiv zu bleiben und trotzdem seine Rechte zu wahren, gibt es: Wer als Nebenkläger berechtigt ist (also eine Nebenklage erheben könnte, es aber nicht tut), kann bei der ganzen Hauptverhandlung im Saal anwesend sein (wenn er möchte). Er kann sich dabei und auch schon zuvor von einem Anwalt vertreten lassen. Nur der Anwalt erhält für ihn vor der Verhandlung Akteneinsicht. Der Anwalt kann dann die Hauptverhandlung vorbereiten und mit begleiten, beobachten und bewerten. Er kann den Akteninhalt, den Gang des Ermittlungsverfahrens, den Gang der Hauptverhandlung und den Ausgang des Verfahrens viel besser deuten und den Verletzten beraten. Er kann dem Verletzten Hinweise über die weiteren Rechte und Ansprüche erteilen. In der Hauptverhandlung kann er den Verletzen als Zeugen wirksam gegen »übermäßigen Eifer« eines Verteidigers schützen, in dem er unzulässige, weil zu persönliche oder diffamierende Fragen beanstandet oder verbale Attacken des Angeklagten zurückweist.
Ein beauftragter Anwalt wird unter bestimmten Voraussetzungen und eigentlich in weitem Rahmen aus der Staatskasse bezahlt. Entweder wird vermögensunabhängig ein Beistand für den Verletzten bestellt, z. B. für Opfer von Misshandlungen von Schutzbefohlenen oder andere »Schwersttatopfer«, oder nach den Regeln der Prozesskostenhilfe bei allen übrigen Berechtigten. Sofern man zwar nicht Schwersttatopfer aber doch nebenklageberechtigt ist und man sich einen Anwalt nicht aus eigenem Vermögen oder Einkünften leisten kann, kann auf Antrag und erbrachtem Nachweis der Bedürftigkeit ein Anwalt beigeordnet werden.
Auch wenn letztlich die Voraussetzung für eine Beiordnung auf Staatskosten nicht vorliegt und man zunächst seinen Anwalt aus eigener Tasche zahlen muss, hat man bei einer Verurteilung des Täters einen Kostenerstattungsanspruch gegen ihn: Die notwendigen Kosten und Auslagen einer Nebenklage oder der Wahrnehmung der Rechte des zur Nebenklage Berechtigten sind dem Verurteilten aufzulegen. Hier besteht leider das Risiko, dass bei dem Verurteilten »nichts zu holen ist« und man deshalb auf seinem Anspruch sitzen bleibt. Trotzdem sollte auch hier überlegt werden, ob die Kosten für eine Opfer-Vertretung nicht sinnvoll investiert sind, da man ansonsten eben völlig allein und ohne Informationen dastände.
Man ist insgesamt keineswegs die ganze Zeit auf die Passiv-Rolle festgelegt, auch wenn man sich zunächst dafür entschieden hat. Man kann sich immer noch während des Verfahrens entschließen, die Nebenklage doch zu erheben und aktiv zu werden. Dieses kann in jeder Lage des Verfahrens geschehen, sogar noch nach einem ergangenen Urteil und dann zur Einlegung eines Rechtsmittels, sofern man der Auffassung ist, dass der Täter nicht gerecht abgeurteilt wurde.
Auf eines sei allerdings hingewiesen: alle Vorschriften der Nebenklage und damit auch die besonderen Rechte des zur Nebenklage berechtigten Verletzten finden im Jugendstrafrecht k e i n e Anwendung. Sofern also der Täter noch Jugendlicher war, sind die persönlichen Teilnahmerechte wieder etwas eingeschränkter. Die notwendigen Informationsbeschaffungen kann einem der Anwalt natürlich immer noch gewährleisten.
Auf all diese seine Rechte soll(-te) der Verletzte eigentlich von den Strafverfolgungsbehörden hingewiesen werden, dazu auf die mögliche Durchsetzung seiner privatrechtlichen Ansprüche und auch auf die Möglichkeit, sich an Opferhilfeeinrichtungen zu wenden.
Leider finden diese Belehrungen selten deutlich, meistens nur durch Aushändigung von irgendwelchen Formblättern statt, die man zunächst nicht versteht und deren Tragweite nicht einzuschätzen weiß.
Als Grundregel kann man sich merken: Sofern man Opfer einer Straftat wurde, die den höchstpersönlichen Bereich besonders schwer berührt, sollte man sich bei einem um das Strafrecht bzw. Strafprozessrecht wissenden Anwalt erkundigen, ob es nicht besser wäre, sich als Verletzter vertreten zu lassen, so dass auch wirklich alle Rechte ausgeschöpft werden, und ob die Voraussetzungen für eine Beiordnung auf Staatskosten vorliegen. Nur dann kann man sich sicher sein, dass man nicht das Gefühl bekommt, zum »Objekt« der staatlichen Strafrechtspflege zu werden, die sich scheinbar mehr den Rechten des Täters widmen muss als auf die Rechte des Opfers eingehen zu können.

Artikel vom 08.07.2006