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Tarifstreit bedroht 430 Kliniken

Krankenhausgesellschaft: 0,5 Prozent Gehaltserhöhungen für Ärzte möglich

Von Ernst-Wilhelm Pape
Bielefeld (WB). Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) hat vor weiteren finanziellen Verlusten der bundesweit 2200 Kliniken gewarnt.

Schon jetzt schreibe bundesweit mehr als ein Drittel der Krankenhäuser rote Zahlen, heißt es in einer internen Analyse zu den Auswirkungen des andauernden Tarifkonfliktes an den 700 kommunalen Kliniken. Wenn sich die Ärztegewerkschaft Marburger Bund mit ihrer Forderung von 30 Prozent mehr Gehalt für Ärzte durchsetze, bedeute dies für die kommunalen Kliniken einen weiteren jährlichen Verlust von 500 Millionen Euro. Hierfür gebe es keine Refinanzierungsmöglichkeiten, außer Steuererhöhungen. Die Krankenkassen seien nicht bereit, die finanzielle Lücke zu stopfen.
Für alle 2200 Krankenhäuser seien es drei Milliarden Euro Mehrausgaben im Personalbereich, wenn sich die Ärztegewerkschaft durchsetze. Es sei davon auszugehen, dass ein Tarifabschluss im kommunalen Bereich auch von den freigemeinnützigen Häusern übernommen werde. Die gesamten Klinikausgaben dürften 2006 nach gesetzlicher Vorgabe aber nur um 0,63 Prozent steigen. Somit sei im Personalbereich nach Angaben der DKG lediglich eine Gehaltserhöhung von 0,5 Prozent möglich. Ferner müsse berücksichtigt werden, dass die Erhöhung der Mehrwertsteuer für die Kliniken zu einer Mehrbelastung von 500 Millionen Euro im Jahr führe.
Schon jetzt müssten 230 der 700 kommunalen Klinken Millionenverluste verkraften. Weitere 200 Kliniken hätten in der Bilanz eine schwarze Null. Komme der Marburger Bund im Tarifstreit zum Zuge, hätten in Zukunft 430 kommunale Krankenhäuser mit großen finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen.
Nach Angaben der Krankenhausgesellschaft sind die Tarifgehälter für Ärzte in den vergangenen Jahren um fünf Prozent gestiegen, während die Budgets der Kliniken nur um ein Prozent angehoben worden seien. In einem mittelgroßen Krankenhaus habe dies ein Finanzierungsdefizit von mehr als einer Million Euro zu Folge.
Schon jetzt seien Klinikärzte die am besten verdienende Berufsgruppe im öffentlichen Dienst, heißt es in dem internen Papier. Junge Klinikärzte verdienten im ersten Jahr 3300 Euro brutto im Monat ohne Bereitschaftsdienst bei einer 38,5-Stunden-Woche. Ein erfahrener Assistenzarzt komme auf 4000 Euro Bruttomonatsgehalt. Ein Facharzt erziele sieben Jahre nach Berufseinstieg 4600 Euro. Für Bereitschaftsdienste erhalte ein Assistenzarzt im Monat 600 Euro, ein Facharzt 700 Euro und ein Oberarzt für Rufbereitschaft 780 Euro im Monat brutto zusätzlich.
Nach DKG-Angaben verdienten fast nirgendwo im Europa ärztliche Berufsanfänger wesentlich mehr als in Deutschland, auch nicht in Großbritannien oder Frankreich. Oberärzte erhielten ein Jahresgehalt von durchschnittlich 99 000 Euro. Chefärzte kämen im Schnitt auf 278000 Euro brutto im Jahr. Ärzte seien die Spitzenverdiener im Krankenhaus.
Unterdessen rollt die Streikwelle der Ärzte an städtischen Kliniken und Kreiskrankenhäuser weiter: In sieben Bundesländern gingen gestern 10 000 Mediziner auf die Straße. In Stuttgart einigten sich Stadt und Gewerkschaft auf einen Sondervertrag für die größte Klinik. MB-Chef Frank Ulrich Montgomery sagte, dies könne »Pilotcharakter« haben.
In Ostwestfalen-Lippe wollen am Montag Geschäftsführer und Vorstände von drei Kliniken gemeinsam an die Tarifparteien appellieren, eine Eskalation des Konfliktes zu vermeiden. In neuen Verhandlungen müsse kurzfristig eine Ergebnis erzielt werden, fordern Gerald Oestreich, Vorstandsvorsitzender des Klinikverbundes im Mühlenkreis Minden-Lübbecke, Peter Schwarze, Geschäftsführer der Klinikum Lippe GmbH und Martin Eversmeyer, Vorstand Klinikum Herford.

Artikel vom 29.06.2006