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Ein ganz foules Kartenspiel

Vier Platzverweise in der Schlacht zwischen Portugal und Holland

Von Klaus Lükewille
Nürnberg (WB). Ein nettes Bild: Der Portugiese Deco und der Niederländer Giovanni van Bronckhorst einträchtig nebeneinander auf der Bank. Sie plauderten, sie gestikulierten. Die Herren kennen sich gut, sie spielen für den FC Barcelona. Aber Deco und van Bronckhorst hockten da nicht ganz freiwillig.

Beide hatten vorher Gelb-Rot gesehen und mussten darum zuschauen. Eine Momentaufnahme der Freundschaft, die so gar nicht zu den bösen Bildern dieses Abends von Nürnberg passte. Portugal gegen Niederlande, das war ein ganz foules Kartenspiel. Der überforderte russische Schiedsrichter Walentin Iwanow zeigte viermal Gelb-Rot und achtmal Gelb. WM-Rekord. Torjäger Ruud van Nistelrooy, der als Reservist die 90 Minuten genau verfolgen konnte, spottete später: »Der hatte immer eine Karte in der Hand, der wollte jedem Spieler eine zeigen.«
Sein Trainer vertrat die gleiche Ansicht. Marco van Basten kritisierte: »Dieser Mann war der Aufgabe nicht gewachsen. Es ist schlimm, dass ein solcher Schiedsrichter eine so wichtige Begegnung leiten darf.« Es gab allerdings auch einen Spieler in seiner Mannschaft, der um Nachsicht bat. HSV-Star Rafael van der Vaart stellte fest: »Es war eine schmutzige Partie. Wir alle haben zu dieser Härte und Hektik beigetragen. Wir haben es dem Schiedsrichter nicht leicht gemacht.«
Nein, wirklich nicht. Fiese Fouls, Tätlichkeiten, Kopfnüsse, Rempeleien und Rudelbildungen, die gesamte Palette der verbotenen Rasen-Taten stand auf dem Programm. Am Ende hatte Portugal 1:0 gewonnen, die Niederlande lagen bei den Fouls mit 15:10 klarer vorne. Waren die also noch schlimmer, noch undisziplinierter? Beim Nachspiel der Trainer sah van Basten die Hauptschuld beim Gegner: »Die Portugiesen beherrschen eben alle Tricks. Sie provozieren, lassen sich fallen, schinden immer wieder Zeit. Nach der Pause gab es doch in jeder Minute ein Foul. Das war überhaupt kein Fußball mehr. Das ist sehr schade.«
Kollege Luiz Felipe Scolari wollte sich die Hauptverantwortung für diese zertretene Partie nicht allein in die Schuhe schieben lassen: »Sicher, es hat schlimme Ausschreitungen gegeben. Aber auf beiden Seiten.« Der Brasilianer fühlte sich an manche Schlacht in Südamerika erinnert: »Das war wie Krieg.«
Bei der Wahl der Waffen zeigten sich Portugiesen und Niederländer nicht besonders rücksichtsvoll. Cristiano Ronaldo bekam das früh zu spüren, das erste Foul von Kalid Boulahrouz war schon rot-reif. Aber auch der große Luís Figo verlor die Nerven. Nach dem Kopfstoß gegen Mark van Bommel hätte Iwanow auch die dunklere Kartenfarbe zücken können. Bondscoach van Basten klagte an: »Ich bin sehr enttäuscht, dass ein so erstklassiger Spieler sich nicht besser kontrollieren kann.« Doch Scolari nahm seinen Kapitän in Schutz: »Figo ist eben nicht Jesus. Der hält nicht auch noch die linke Wange hin, wenn man ihn rechts abgewatscht hat.«
Patsch, patsch, patsch. So ging das in Nürnberg. Immer lag einer am Boden, ständig wedelte der Schiedsrichter mit seinen Karten. Sechs Minuten ließ er nachspielen, es hätte angesichts der Unterbrechungen auch eine Viertelstunde sein dürfen. Dann endlich der Abpfiff. Es reichte. Waffenstill- stand. Verschwitzt verschwand Iwanow sofort in seiner Kabine.
Auf dem Platz feierten die Portugiesen mit ihren Fans, trauerten die Niederländer mit ihren Anhängern. Arjen Robben weinte, Fernando Meira tröstete ihn. Noch ein Bild der Versöhnung. Das war's auch. Trikots haben die Spieler nicht getauscht. So weit wollten sie nach dem Austausch so vieler Gemeinheiten nicht gehen.

Artikel vom 27.06.2006