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Lok rammt Bus:
Rentner rettet
21 Reisende

74-Jähriger ist der Held des Tages

Von Ernst-Wilhelm Pape
Bad Salzuflen/Rathen (WB). Der 74 Jahre alte Rentner Friedrich Wilhelm Brandsmeier aus dem lippischen Bad Salzuflen ist seit dem Wochenende der Held von Rathen in Sachsen. Er rettete 21 zumeist älteren Mitgliedern der evangelischen Kirchengemeinde Bad Salzuflen-Schötmar das Leben, nachdem ihr Reisebus auf einem Bahnübergang liegengeblieben war.
Berufserfahren: Friedrich-Wilhelm Brandsmeier.
Sie konnten noch rechtzeitig den Reisebus verlassen, bevor er von einer schweren Lokomotive erfasst, herumgerissen, mitgeschleift und zertrümmert wurde. Der Bus kippte um, das Dach wurde abgetrennt. Erst 300 Meter nach der Unfallstelle kam die Lok zum Stehen.
Der 74-Jährige, der als Aushilfsfahrer eingesprungen war, hatte noch versucht, den Bus mit Hilfe des Anlassern von den Schienen zu bekommen. Die Halbschranken hatten sich bereits gesenkt und lagen schon auf dem Bus. »Fünf Sekunden mehr Zeit und der Zusammenstoß mit der herannahenden Lokomotive hätte vermieden werden können«, sagte Brandsmeier gestern dieser Zeitung. Der Rentner liegt derzeit mit drei gebrochenen Rippen, Prellungen und Hautabschürfungen im Klinikum Pirna. Hier müsse er noch einige Tage bleiben.
Friedrich Wilhelm Brandsmeier hatte früher das Unternehmen Brandsmeier-Reisen geführt. Sechs Omnibusse waren für den Firmenchef unterwegs. Heute sei er noch hin und wieder als Aushilfsfahrer für andere Reiseunternehmen tätig, wenn Not am Mann ist. »Ich habe die Kreisbehörde gefragt, wie lange ich als Busfahrer noch tätig sein darf«, sagte Brandsmeier. Nach Test und Gesundheitscheck wurde dem 74-Jährigen ein gutes Zeugnis ausgestellt - voll fit. Er konnte weiterhin einen Bus steuern. Zudem nimmt der routinierte Busfahrer regelmäßig am Fahrsicherheitstraining teil.
Vor einer Woche startete Brandsmeier mit einer Reisegruppe der Kirchengemeinde Schötmar in die sächsische Schweiz. Der gerade vom TÜV abgenommene Bus gehört dem Reiseunternehmen Kixmöller-Mense aus Bad Salzuflen. Begleitet wurden die 34 zumeist ältere Gemeindemitglieder von Pastor Michael Schmidt. Übernachtet wurde in einem Hotel in Bad Schandau.
Am Samstag, dem vorletzten Reisetag, stand ein Besuch der romantischen Felsenbühne Rathen auf dem Programm. Gespielt wurde »Ein Sommernachtstraum« von William Shakespare. 21 der 34 Reisenden aus Bad Salzufen sahen sich die Aufführung an.
Auf der Rückfahrt zum Hotel sei der Bus dann in Rathen auf dem Bahnübergang liegengeblieben. Brandsmeier: »Plötzlich starb der Motor ab. Gemeinsam mit Pastor Schmidt habe ich die Reisenden aufgefordert, unverzüglich den Bus zu verlassen. Das ist in letzter Minute gelungen. Die persönlichen Sachen mussten im Bus bleiben. Pastor Schmidt ist der Lokomotive noch mit der Taschenlampe entgegen gelaufen. Vergeblich. Auch mir gelang es nicht mehr, den Bus mit Hilfe des Anlassers - die Batterie war in Ordnung und spielte mit, auch der Tank war noch ein Viertel voll - von den Schienen zu bekommen.« Erst im letzten Moment hatte der tschechische Lokführer noch eine Vollbremsung eingeleitet. Er erlitt einen Schock. Die Bahnstrecke musste nach dem Unfall von Mitternacht bis gestern Morgen 8 Uhr wegen der Bergungsarbeiten gesperrt werden.
Da das Unternehmen Kixmöller-Mense durch Zufall über einen Ersatzbus in Sachsen verfügte, konnten die Gemeindeglieder aus Schötmar gestern noch wie geplant die Partnerkirchengemeinde Axien besuchen. Gestern Abend kehrten die Reisenden dann wieder in ihre lippische Heimat zurück.

Artikel vom 26.06.2006