22.06.2006 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Kanzlerin Merkel: »Wir machen
Deutschland zukunftsfest«

Aussprache zur Regierungspolitik - Opposition fährt schweres Geschütz auf

Von Gerd Reuter
Berlin (dpa). Nahe der Fan-Meile am Brandenburger Tor trafen sich die in Fahnen gehüllten Enthusiasten zum internationalen Frühschoppen. Zwei Fußballfelder entfernt erläuterte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) im Bundestag ganz nüchtern den »Sanierungsfall Deutschland«.
Ob auch Vizekanzler Franz Müntefering davon überzeugt ist? Bundeskanzlerin Angela Merkel sieht die WM-Begeisterung auch als Zeichen für die Bereitschaft der Bürger zur Modernisierung Deutschlands.
Etwas mehr als zwölf Stunden nach dem Einzug der deutschen Elf ins Achtelfinale ging es gestern im Plenum um die schnöde Alltagspolitik.
Auf der Tagesordnung stand die traditionelle Generalaussprache zur Regierungspolitik als Teil der zweiten und dritten Lesung des Haushalts 2006. Früher, in den Zeiten vor der großen Koalition, wurde dies auch Generalabrechnung genannt. Der Schlagabtausch verlief jetzt in vorhersehbaren Bahnen, und nahezu jeder Redner berief sich auf die eine oder andere Weise auf den Erfolg der deutschen Fußballer und den Freudentaumel auf den Straßen.
Für die Kanzlerin ist die gegenwärtige Begeisterung der Menschen auch ein Signal für die Bereitschaft, die Modernisierung Deutschlands voranzutreiben. »Ich bin nicht bange, dass wir die Herausforderungen meistern werden«, rief sie in das zu diesem Zeitpunkt fast voll besetzte Plenum. Natürlich sei der Begriff »Sanierungsfall« ein hartes Wort, aber es sei auch eine Tatsachenbeschreibung. Der SPD-Fraktionsvorsitzende Peter Struck wollte allerdings festgehalten wissen, dass dies nicht seine Wortwahl sei.
Merkel bat um Verständnis für die bereits verabschiedete Erhöhung der Mehrwertsteuer und den Wegfall von Steuervorteilen. Bis zur parlamentarischen Sommerpause sollen die großen Reformprojekte - Föderalismus, Unternehmensteuern und Gesundheit - auf festem Grund stehen. »Wir machen dieses Land zukunftsfest«, versprach die Kanzlerin.
Und dann kam die Stunde der Opposition, die zu argwöhnen scheint, dass der weltweit bestaunte Erfolg der »Klinsmänner« von Merkel und Co. auch als Ergebnis des Wirkens der großen Koalition verkauft werden könnte. »Aber schön locker bleiben, Mädchen«, schallte es der Grünen-Fraktionschefin Renate Künast per Zwischenruf aus der Koalition entgegen, als sie zu lautstarker Kritik anhob. Darauf die kämpferische Grüne: »Die Leistung, die Klinsmann mit seinen Männern erreicht hat, haben Sie noch vor sich.«
Schweres Geschütz fuhr FDP-Vize Rainer Brüderle gegen Merkel auf: »Die Union ist dabei, im Schatten des FC Klinsmann Wahlversprechen zu brechen.« Der Merkel-Slogan aus Oppositionszeiten in Richtung Rot-Grün - »versprochen, gebrochen« - gelte deutlicher als je zuvor nun für die Kanzlerin selbst.
Der Vorsitzende der Linksfraktion, Gregor Gysi, gab den Rebell am Rednerpult. Zum Auftakt stellte er in Richtung Kanzlerin klar: »Unser Anteil an den Erfolgen der Fußball-Nationalmannschaft ist gleich null.«
Die Reichen in Deutschland - zu ihnen zählt auch die Masse der Nationalspieler - hätten zwei Dinge nicht zu fürchten: Die Union und die SPD.
Die große Koalition organisiere Sozialabbau im großen Stil. Es gebe viele Reiche, die seien inzwischen linker als die SPD. »Dummschwätzer« - so die Antwort aus den Reihen der Koalition. Der SPD-Abgeordnete Olaf Scholz bezog sich in seiner Antwort auf das Repertoire der englischen Fans: »You will never walk alone« (Du gehst niemals alleine), rief er Gysi und anderen Zweiflern zu.
Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) gab schließlich seine Schlussfolgerung des »fröhlichen Patriotismus« zum Besten, der auch mit Fan-Gesängen auf den Tribünen seinen Ausdruck findet: »Steh' auf, wenn Du ein Deutscher bist, und nimm die Sache in die Hand.«

Artikel vom 22.06.2006