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Reformen dürfen nicht zum Synonym für Steuererhöhungen werden.

Leitartikel
Haushaltsdebatte

Warnzeichen
im Land
ernstnehmen


Von Dirk Schröder
Traditionsgemäß nutzt die Opposition die Haushaltsdebatte alljährlich zu einer Generalabrechnung mit der Politik der Bundesregierung. Das ist in diesem Jahr nicht anders - und doch so viel anders als in den Jahren zuvor.
Ob FDP, Grüne oder Linkspartei, sie haben es angesichts der Regierungskolosse Union und SPD schwer, überhaupt Gehör zu finden und vom Bürger wahrgenommen zu werden. Und wenn die Opposition der Regierung jetzt ein schlechtes Zwischenzeugnis ausstellt und ihr vorwirft, zentrale Wahlversprechen gebrochen zu haben, geht dies unter im allgemeinen Jubel über die Siege der deutschen Fußballnationalmannschaft bei der WM im eigenen Land.
Wer will es Bundeskanzlerin Angela Merkel verübeln, dass sie diese Fußball-Begeisterung nutzt, um die Bürger für ihre Steuererhöhungspläne und weitere Belastungen auf ihre Seite zu ziehen. Doch nach dem Endspiel am 9. Juli in Berlin wird auch die Fußball-Euphorie wieder abebben. Der triste Alltag hat dann auch die Politik wieder eingeholt. Die Bereitschaft der Bürger ist weiterhin groß, der Bundesregierung auf dem - schmerzhaften - Weg der Modernisierung zu folgen. Doch sollte die große Koalition die Einsicht des Wahlvolkes nicht überstrapazieren. Ein wirklicher Sparwille ist noch nicht zu erkennen. Reformen dürfen aber nicht zum Synonym für Steuererhöhungen werden, auch wenn die Koalition auf dem besten Wege dazu ist.
Es reicht nicht, dass Angela Merkel Deutschland als Sanierungsfall bezeichnet. Das ist keine neue Erkenntnis, daran doktern die Politiker doch seit Jahren herum, mit äußerst mageren Ergebnissen. Zuletzt die rot-grüne und davor schon die schwarz-gelbe Koalition haben es nicht geschafft, weil ihnen vielfach der Mut fehlte und ihnen die nächste Wahl näher stand als das Wohl der gesamten Republik.
Dabei hat es gute Ansätze gegeben. Erinnert sei nur an die Liste von Subventionen und Steuervergünstigungen, die Roland Koch und Peer Steinbrück streichen wollten. Daraus geworden ist nicht viel. Und Hartz IV, eigentlich eine gute Idee, ist ein Beispiel dafür, wie mit Gemurkse Aktivität vorgetäuscht worden ist. Diese Reform krankt nicht am angeblichen Leistungsmissbrauch - der liegt in nur drei Prozent der Fälle vor. Hartz IV hat trotz vielfacher Warnungen von Anfang an so viele Webfehler gehabt, dass jetzt ständig nachgebessert wird. Nur die Menschen in Arbeit gebracht hat die Reform nicht.
Wenn Kanzlerin Merkel nicht scheitern will, sollte sie sich beeilen, das Land zukunftsfest zu machen. Sie muss die folgenden Warnzeichen ernstnehmen: In der Wählergunst gerät die Union immer mehr in den Abwind; BDI-Präsident Jürgen Thumann ist erschüttert über den Mangel an Reformmut der Großen Koalition, und sogar der Bundespräsident mahnt entschiedenere Reformanstrengungen an.
Das ist keine Besserwisserei Horst Köhlers. Es ist ein Mahnruf an die Koalition, endlich über den Parteienrand zu schauen.

Artikel vom 22.06.2006