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Berliner
Luft
geschnuppert
von
Friedrich-Wilhelm
Kröger


Das Ritual am Morgen ist immer gleich: ein Käse-Baguette, dazu ein großer Kaffee. Aber auch im Café an der Ecke hat sich etwas geändert. Frau Müller, die sich bisher nicht als Fußballfan zu erkennen gab, bedient jetzt in Schwarz-Rot-Gold. Dazu baumeln Luftballons in den drei Deutschlandfarben von der Decke. Somit erfasst die WM nun einen der letzten Winkel der Hauptstadt, in dem man bis jetzt immerhin relativ sicher ist vor nächtlichen Hupkonzerten und unendlichem Gesang.
Die Klinsmänner haben auch im Kiosk nebenan Erstaunliches zu Tage gefördert. Hier schiebt Malgorzata immer die Zeitungen über den Tresen. Das wäre nicht weiter erwähnenswert, wenn es nun nicht auch bei ihr zu einem veritablen Ausbruch von WM-Fieber gekommen wäre. Eine schwarz-rot-goldene Kopfbedeckung fügt sich mit schwarz-rot-goldener Brille zu einem einheitlichen Gesamtbild.
Malgorzata ist auch nachts schon auf dem Ku'damm gewesen. Sie hat sich darüber gefreut, dass sich die Anhänger verschiedener Nationen so gut miteinander vertragen. Bei ihr zu Hause war das nicht ganz so. Sie kommt aus Polen, was aus verständlichen Gründen den Ehefrieden mit ihrem deutschen Mann vorübergehend in Gefahr brachte. Sie hat ihn »gebufft« nach dem Tor, aber »nur zum Spaß«, wie sie sagt. Und jetzt drückt sie Deutschland die Daumen. Das ist unübersehbar.

Artikel vom 22.06.2006