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Schreie panischer Einwohner
übertönten Grollen des Bebens

Menschen fliehen aus Angst vor einer neuen Tsunami-Katastrophe

Yogyakarta/Singapur (dpa). Die schreckliche Erinnerung an die Tsunami-Katastrophe war vielleicht gerade verblasst, da trifft die rohe Gewalt der Natur Indonesien erneut mit voller Kraft.
Helfer suchen mit bloßen Händen in den Trümmern nach Überlebenden.

Eigentlich war es der nahe, schon seit Wochen bedrohlich brodelnde Vulkan Merapi, der die Menschen in Yogyakarta und Umgebung mit Sorge erfüllte. Dann aber reißen nicht glühende Lava und heiße Gaswolken Menschen in den Tod, sondern ein mächtiger Erdstoß.
Keine anderthalb Jahre nach der verheerenden Flut in der Provinz Aceh hat die Natur die Menschen auf Java, aber auch in anderen Teilen Indonesiens, einmal mehr brutal daran erinnert, auf welchem Pulverfass sie sitzen.
Von den oft einfachen Holzunterkünften blieb meist nicht mehr als ein wilder Haufen Bretter übrig. Helfer aus der Nachbarschaft suchen im Gewirr mit bloßen Händen nach Überlebenden. Wo Steinhäuser ineinanderkrachten und ihre Einzelteile über die Straße streuten, liegt nicht selten ein Blechknäuel, das einmal ein Auto war.
Als auf Java die Erde zitterte, war die Furcht plötzlich wieder da. Fast noch beängstigender als das Beben selbst seien die Schreie panischer Einwohner Yogyakartas gewesen, die vor einem vermeintlichen Tsunami flohen, berichtet die Südafrikanerin Beth Erasmus (34), die zum Zeitpunkt des Erdstoßes in Yogyakarta war.
Und das, obwohl die Großstadt etwa 25 Kilometer vom Meer entfernt liegt. »Die Leute sind in unser Hotel gerannt und haben geschrien, dass das Wasser steige. Die Menschen hatten schreckliche Angst, sind Amok gelaufen.«
Die Lage des Landes am so genannten Ring aus Feuer - jener seismisch höchst aktiven Zone, die sich rund um den Pazifik zieht - ist eine tickende Zeitbombe, die den Koloss aus 18 000 Inseln verwundbar macht. Hunderte Erdbeben suchen das Riesenreich jedes Jahr heim, glücklicherweise zumeist ohne größere Schäden anzurichten.
Dazu kommen mehr als 130 aktive Vulkane - so viele wie in keinem anderen Land der Erde: Gewinn bringende Touristenattraktionen, solange sie sich ruhig verhalten, potenziell tödliche Last, sollten sie wirklich einmal ausbrechen.
Wie hilflos im Katastrophenfall das Schwellenland Indonesien ist und voraussichtlich noch lange bleibt, wird nach dem Erdbeben auf Java nur allzu deutlich. Weil Krankenwagen fehlen, werden Verletzte mit allem, was nur irgendwie fahren kann, in die völlig überfüllten Kliniken gebracht. Sogar Pferdekarren helfen weiter. Leichen werden bis zum Abtransport einfach an den Straßenrand gelegt.
»Die Menschen sterben auf Pappkartons«, berichtet die Entwicklungshelferin Kristy Rebenchuk (25) aus Kanada, die ebenfalls während des Bebens in Yogyakarta war - und sofort bei der Versorgung der Verletzten half. »Es ist schmutzig hier auf den Straßen. Die verletzten Menschen kämen selbst wenn es Platz gäbe nicht einmal ins Krankenhaus hinein, weil es nicht genügend Leute gibt, die sie hereintragen können.«
Keiner zweifelt, dass Indonesien nach dem Erdbeben nach dem Tsunami vor einer weiteren, schweren Prüfung steht. Aber es keimt auch Hoffnung, dass das Land - von vielen Ausländern wegen seiner Schönheit und seiner Menschen geschätzt - auch dies überstehen wird, zumindest mit Blick auf die überlebenswichtige Tourismusindustrie.
»Vielleicht haben manche Leute in den nächsten Monaten nicht den Mut, die Region um Yogyakarta zu besuchen«, sagt die Britin Bella Galt, die im nahen Bezirk Magelang auf einer Kaffeeplantage arbeitet. »Aber ich habe hier viele ausländische Gäste gesehen, die sehr ruhig waren und die Lage akzeptierten - das Erdbeben und den Merapi.«

Artikel vom 29.05.2006