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Kurden rufen
zur Blutrache auf

Familienoberhaut aus Paderborn angeklagt

Von Hubertus Hartmann
Paderborn (WB). Die Staatsanwaltschaft Hildesheim hat das Paderborner Oberhaupt einer kurdischen Familie wegen Anstiftung zum Mord angeklagt.

Der 52-jährige Feremez Ü. soll einen Neffen angewiesen haben, zur Wiederherstellung der Familienehre ein Mitglied einer anderen Sippe umzubringen. Nach Ermittlungen der Polizei wird der blutige Rachefeldzug in Deutschland offenbar von Stammesmitgliedern aus Anatolien gelenkt. Er habe mehrere Anrufe aus der Türkei erhalten, und der Druck sei mittlerweile sehr groß geworden, erklärte Feremez Ü. in seiner Vernehmung. Er bestreitet allerdings den Tatvorwurf.
Hintergrund der Familienfehde ist eine gelöste Verlobung im niedersächsischen Stadtoldendorf. Die 16-jährige Sevda K. war dem sechs Jahre älteren Nevzat Ü. versprochen worden. Vor einem Jahr wurde die Verlobung gefeiert É sie kann nach kurdischer Tradition nicht wieder gelöst werden.
Trotzdem brannte Sevda drei Monate später mit Bayram T. durch. Die Vormundschaft der Minderjährigen hat inzwischen das Jugendamt Holzminden übernommen. Ihr Aufenthaltsort wird zu ihrem Schutz auch gegenüber Sevdas Familie geheim gehalten. Hamdullah Ü., der Vater des schmählich verlassenen Verlobten, griff als erster zum Fleischermesser.
Noch am Tag von Sevdas Verschwinden versetzte er deren Vater Fayik K. einen lebensgefährlichen Stich in den Bauch. Der Täter wurde wegen versuchten Totschlags bereits zu fünf Jahren Haft verurteilt.
Doch die Familienfehde schwelt weiter. Der Zorn der Familie Ü. richtet sich jetzt gegen die Familie T., die sie für den Bruch der Verlobung verantwortlich macht. Familienmitglieder in der Türkei sollen massiv Blutrache gefordert haben. Es gehe um die Ehre der gesamten Familie. Werde diese nicht wieder hergestellt, werde die ganze Familie geächtet und müsse das Dorf verlassen.
Auch der in Paderborn lebende Feremez Ü. soll seinen Neffen Nevzat Ü. unter Zeugen aufgefordert haben, jemanden aus der B.-Sippe zu erschießen, was dieser nach eigenen Angaben aber vehement ablehnte. Nevzat Ü. ging stattdessen zur Polizei und zeigte seinen Onkel an. Dieser behauptet hingegen: »Das ist alles gelogen.«
Auch sein Verteidiger Franz Zacharias aus Paderborn zweifelt die Aussagen des Neffen an. Nevzat Ü. wolle möglicherweise nur seine drohende Abschiebung verhindern, mutmaßt Rechtsanwalt Zacharias. »Es gibt für meinen Mandanten überhaupt keinen Grund, einen solchen Mord in Auftrag zu geben.« Feremez Ü. ist nach zweiwöchiger Untersuchungshaft inzwischen wieder in die Freiheit entlassen worden.

Artikel vom 29.05.2006