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Klinsmann und seine »Krieger«

Vorbereitung auf Sardinien: Bundestrainer schürt den Konkurrenzkampf

Pula (dpa). Beim fröhlichen Grillabend mit den Familien wurden Teamgeist und Harmonie beschworen, doch auf dem Platz wünscht sich Jürgen Klinsmann von sofort an einen noch schärferen Konkurrenzkampf.

Drei Wochen vor dem WM-Eröffnungsspiel hat der Bundestrainer den Wettstreit innerhalb der deutschen Fußball-Nationalmannschaft um die elf Startplätze gegen Costa Rica als offenes Rennen bezeichnet und die vermeintlichen Reservisten zu mehr Druck auf die etablierten Kräfte angestachelt.
»Wenn es morgen losginge, hätten wir eine Mannschaft im Kopf, aber am 9. Juni kann sie anders aussehen«, sagte Klinsmann und kündigte für das scharfe Trainingslager nach dem Umzug von Sardinien an den Genfer See am Sonntag eine härtere Gangart an.
»Jeder muss sich an sein bestmögliches Niveau heranführen. Spieler, die denken, sie sind im zweiten Glied, haben die Aufgabe, denjenigen, der von ihnen sitzt, zu kitzeln und zu fordern. Das muss ein Leistungswettkampf werden über die gesamte WM hinweg. Da kann keiner auch nur einen Moment relaxen«, beschrieb der Bundestrainer seine Erwartungshaltung. Hinter den unumstrittenen Stammkräften wie Michael Ballack, Jens Lehmann oder Miroslav Klose soll sich keiner sicher fühlen. »Jede Trainingseinheit wird mit höchster Intensität gefahren. Und wir werden auch interne Testspiele machen«, kündigte der 41-jährige Coach an.
Klinsmann weiß, dass nur mit urdeutschen Tugenden wie Rennen, Kämpfen, Willenskraft und einem überragenden Teamgeist die größere fußballerische Klasse von Titelanwärtern wie Brasilien, Italien oder Argentinien ausgeglichen werden kann. »Wir haben keine Mannschaft wie Brasilien, die mit 20 Individualisten bestückt ist. Wir können nur etwas reißen, wenn alle zusammen halten«, sagte er. Kapitän Michael Ballack sieht das genauso. »Es gibt einfach Nationen, die weiter sind als wir, die bessere Fußballer haben. Aber gerade bei Weltmeisterschaften waren wir Deutschen immer als Mannschaft da. Und da ist der Teamgeist ganz, ganz wichtig für uns«, sagte der künftige Londoner.
Das Sieger-Gen »Teamspirit« wird den Nationalspielern täglich eingeimpft, wobei die US-Fitnesstrainer um Mark Verstegen und der Sportpsychologe Hans-Dieter Hermann die Vorreiterrolle übernehmen. »Es ist einiges anders als früher«, hat Jens Nowotny festgestellt, der nach zwei Jahren ins Nationalteam zurückgekehrt ist. »Besonders augenfällig wird das bei dem amerikanischen Trainerteam. Da wird der Teamgeist noch mehr beschworen«, bemerkte der 32-jährige Routinier.
Nicht nur Englisch ist durch Verstegens Fitness-Truppe zur zweiten Amtssprache der Nationalmannschaft geworden, sondern auch die gemeinsamen Schlachtrufe auf dem Platz sind inzwischen Rituale. »Wir brauchen Krieger bei der WM«, bemerkte einer aus dem Fitness-Stab.
Klinsmann setzt alles auf die Karte Vorbereitung. »Wir glauben, dass wir die Möglichkeiten haben, wenn wir aggressiver sind als die Gegner, wenn wir lauffreudiger sind und mit viel Leidenschaft, Engagement und dem Heimvorteil in die WM reingehen.« Das große Ziel: Die Elf soll brennen und vom 9. Juni an möglichst in sieben Spielen bis zum Endspiel in Berlin als Kollektiv zuschlagen.

Artikel vom 20.05.2006