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Das Wort zum Sonntag

Von Pfarrer Hans-Jürgen Feldmann


Die Regierung der USA hat allein seit dem Jahre 2000 über 2,3 Millionen Dollar ausgegeben, um die Wirksamkeit des Betens erforschen zu lassen. Ein solches Vorhaben wäre in Europa, wo die Religion längst nicht mehr eine so große Rolle spielt wie in Amerika, wohl undenkbar. Aber ist es auch sinnvoll?
Eines dieser Projekte mag darüber Aufschluß geben: Zwischen Januar 1998 und November 2000 - so die Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 16.05.2006 - unterzog der Kardiologe Herbert Benson aus Boston mit seinen Mitarbeitern rund 1800 Patienten aus sechs verschiedenen Kliniken einem entsprechenden Test. Die Versuchspersonen - alle vor einer Bypassoperation - wurden dabei in drei Gruppen eingeteilt. Der ersten sagte man, möglicherweise werde für sie gebetet, was dann auch tatsächlich geschah. Der zweiten wurde die gleiche Auskunft zuteil; doch das Gebet für sie unterblieb. Die dritte Testgruppe schließlich erhielt die feste Zusage, daß andere, ihnen Unbekannte, für sie die Hände falteten, damit der Eingriff gelinge und nicht zu Komplikationen führe.
Als Beter wurde eine Anzahl katholischer und evangelischer Christen gewonnen. Sie bekamen die Aufgabe, für jeden einzelnen der ihnen Anvertrauten vom Vorabend der Operation an vierzehn Tage lang mit dem gleichen Wortlaut zu beten.
Bei den Genesungsprozessen indessen - Sterbefälle hat es wohl nicht gegeben - zeigten sich keine nennenswerten Unterschiede. Nur die Patienten der dritten Gruppe wiesen leichte Abweichungen auf. Einige von ihnen erholten sich langsamer als die anderen oder erlitten sogar Herzinfarkte oder Schlaganfälle. Man will das darauf zurückführen, daß diese Menschen womöglich unter einem höheren Erwartungsdruck standen oder sich eingeredet hätten, so schlecht stehe es schon um sie, daß nur noch Beten helfe. Aber sicher ist das keineswegs. Denn sie hatten ja eingewilligt, außerdem kannten sie ihre Diagnose und waren wie alle anderen über ihre Chancen und Risiken informiert.
Was lernen wir also daraus? Daß man sich das Geld für die teure Testreihe auch hätte sparen können; denn es war vorauszusehen, daß deren Ergebnis gleich Null sein werde. Ein wenig Theologie im Hirn oder das geistliche Urteilsvermögen eines einfachen Christenmenschen hätten genügt, um bereits vorher zu wissen, daß dergleichen Experimente zu nichts führen können. Gott nämlich läßt sich grundsätzlich nicht zum Gegenstand menschlicher - auch nicht wissenschaftlich getarnter - Untersuchungen machen. So ist es auch zum Scheitern verurteilt, mit bestimmten Methoden nachweisen zu wollen, ob der Glaube etwas bringt oder nicht, ob Gebete erhört werden oder ins Leere gehen.
Gott ist nämlich kein Erfüllungsgehilfe menschlicher Wünsche, sondern der souveräne Herr. Deshalb wird auch niemand die Kraft des Glaubens und des Gebetes erfahren, der sich lediglich fragt, was ihm das nützt. Das darf jedoch nicht zu der falschen Schußfolgerung verleiten, Beten sei überflüssig, völlig unschädlich zwar, aber doch eben wirkungslos.
Das Wesen des Gebetes besteht nicht darin, Gott bestimmte Bedürfnisse vorzutragen oder gar, ihm erst dann in den Ohren zu liegen, wenn alle Stricke reißen. Es ist vielmehr eine Lebenshaltung: Ein Mensch richtet sich auf einen Größeren aus und vertraut sich ihm an, rechnet mit seinen höheren Gedanken, die allemal die menschlichen übersteigen. Darin hat alles - ohne Zensur - seinen Platz, die Sorgen und Probleme, die Wünsche und Ängste, die Fürbitte für andere und - um das Wichtigste nicht zu vergessen - der Dank. Denn Gott ist kein stummer Götze und kein unbeteiligtes Schicksal; er hört zu. Wenn wir aber unser Sprüchlein aufgesagt haben, dann gilt: »Ihn, ihn laß tun und walten, er ist ein weiser Fürst und wird sich so verhalten, daß du dich wundern wirst« (Paul Gerhardt, Ev. Gesangbuch 361, 8).
Der morgige Sonntag Rogate (»Betet«, »Bittet«) ist, wie sein Name sagt, diesem Thema gewidmet. Der ihm zugeordnete Wochenspruch lautet: »Gelobt sei Gott, der mein Gebet nicht verwirft noch seine Güte von mir wendet« (Psalm 66, 20).

Artikel vom 20.05.2006