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Die alte Dame klagt über akute Atemnot. Der forsche Jugendliche auf seinem Motorroller schlittert in den Gegenverkehr. 50 WM-Touristen stöhnen vor Schmerzen, nachdem am Bielefelder Berg ihr Bus umgekippt ist. Und sie alle müssen schnellstens erstversorgt werden. »Unsere Rettungsfachkräfte sind in acht bis zehn Minuten am Einsatzort«, verspricht Heiner Hofmann.
Der Rettungsdienst von ASB, DRK und JUH sowie die Kollegen der Berufsfeuerwehr, der Biekra und der »URK Haupt« (Unfallrettung/Krankentransport) ziehen an einem Strang, denn jährlich sind mehr als 30 000 Einsätze zu bewältigen, wovon in diesem Jahr nach recht präzisen Schätzungen 13 000 auf Hofmanns 50 Mitarbeiter entfallen werden. »Die müssen perfekt ausgebildet sein, und dennoch: Ohne die Hilfe von 40 weiteren Ehrenamtlichen und Aushilfen wäre das Pensum nicht zu bewältigen.«
Das »Bielefelder Modell« der Ausbildung seiner Rettungsfachkräfte hat sich bestens bewährt. Bundesweiter Standard sind zwei Jahre (plus ein Jahr Schule) - am Teuto sind es drei Jahre, in denen sich Theorie- und Praxisphasen abwechseln. »Wir bezahlen die Schul- und Lehrgangskosten und führen die jungen Leute behutsam an ihre manchmal doch sehr belastenden Aufgaben heran«, erklärt Hofmann.
So ein angehender Rettungsassistent nämlich wird intellektuell und psychisch ganz schön gefordert. Kennt er die Medikamente und ihre Nebenwirkungen nicht, hätte dies womöglich fatale Konsequenzen. Kann er nicht mit Menschen kommunizieren, läuft die Behandlung unter Umständen ins Leere. Und das Chaos am Unfallort will konsequent und entschlossen aufgelöst werden. »Unter den Augen eines erfahrenen Rettungssanitäters lernen unsere Azubis früh, ihre Maßnahmen selbst zu strukturieren.«
Und nicht immer ist die Atmosphäre freundlich. Werden die Rettungsdienstler zu Familienzwisten gerufen, müssen sie unter Umständen erst einmal die Streithähne beruhigen, bevor sie die Platzwunde am Kopf behandeln dürfen. »Wir trainieren Deeskalationsstrategien, damit der Patient auch wirklich im Krankenhaus landet und nicht im Polizeigewahrsam.«
Absolventen aller Schultypen bewerben sich beim Rettungsdienst - 34 für den Ausbildungsbeginn im laufenden Jahr -, aber nur zwei wurden eingestellt. »Leider bildet das Land NRW in vielen Schulen zu viele Rettungsassistenten aus - das geht am Bedarf vorbei«, bedauert Hofmann. Positiv in Bielefeld: »Ein Viertel unserer Kräfte sind Frauen, wir haben eine kurdische Auszubildende und eine türkische Rettungsassistentin, was den hiesigen ethnischen Gegebenheiten Rechnung trägt.«
Zur WM übrigens schicken ASB, DRK und JUH zwar medizinisches Personal nach Dortmund und Köln, doch weil in Bielefeld keine Großleinwände aufgestellt werden, besteht hier kein »geplanter Bedarf«. »Natürlich bereiten wir uns auf außerplanmäßige Einsätze vor«, erklärt Hofmann.
200 Spezialisten bilden die SEG, die Schnelleinsatzgruppe, die beispielsweise am 6. März nach der Massenkarambolage auf der Autobahn und jüngst beim Giftalarm in Brackwede die Opfer versorgte und betreute. »Unsere SEG, eine der ganz wenigen, die von mehreren Institutionen betrieben wird, ist eine der größten und leistungsfähigsten der Republik«, versichert Hofmann. In Notfällen also besteht in Bielefeld kein Grund zur Panik: Wählen Sie 112, nennen Sie Namen und Ort, und schildern Sie, was passiert ist - die Retter sind nicht weit.
»Wir kommen schnell, und wir sind bestens ausgerüstet«, sagt Hofmann. »Vielfach allerdings könnte auch der Laie etwas tun, könnte Erste Hilfe leisten oder gar lebensrettende Sofortmaßnahmen ergreifen.« Der Profi appelliert an die Bürger, sich auf diesem Gebiet fortzubilden.

Artikel vom 20.05.2006