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Später in die Schule

Mehr Schlaf
ist weniger
Gewicht


Von Andreas Schnadwinkel
Seit den Ergebnissen der verschiedenen PISA-Studien steht bei uns so ziemlich alles auf dem Prüfstand, was mit Schule zu tun hat: die Ausbildung der Lehrer, die Sprachfähigkeit der Migrantenkinder, das dreigliedrige Schulsystem. Auch Randbereiche spielen eine Rolle, was die aktuellen, viel zu aufgeregt geführten Diskussionen über die Schuluniformen zeigen. Wie in Deutschland üblich, ist vieles eine Sache des Begriffs: Hieße die einheitliche Kleidung Schulkollektion, wäre der Gedanke leichter vermittelbar (siehe auch Kopfpauschale und Bürgerversicherung) als eine Uniform, die in Zusammenhang mit Kindern und Jugendlichen fatalerweise Assoziationen an die Hitler-Jugend weckt.
Schulen, die freiwillig und einstimmig den Einheitslook eingeführt haben, machen sehr gute Erfahrungen mit Lernverhalten und Leistungsniveau. Außerdem sind sie bei Eltern so beliebt, dass dort die Anmeldezahlen steigen.
Ein wenig in Vergessenheit ist darüber Günther Oettingers konstruktiver Vorschlag geraten. Baden-Württembergs Ministerpräsident möchte die Schüler im von ihm regierten Bundesland eine Stunde später in die Schulen schicken. Unabhängig von den bedenkenswerten Auswirkungen auf den Tagesablauf jedes einzelnen Schülers (und Lehrers!) hat der Vorstoß einen gesundheitlich relevanten Aspekt, der nicht wegzudiskutieren ist: Studien belegen eindeutig, dass weniger Schlaf mehr Gewicht bedeutet. Außerdem seien Kinder aufgrund ihres speziellen Biorhythmus' morgens um acht in etwa so aufnahmefähig wie gegen Mitternacht. Das hat der Regensburger Schlafforscher Prof. Dr. Jürgen Zulley herausgefunden.
Jugendliche mit langem Schulweg müssen nicht selten schon gegen sechs Uhr aufstehen. Der Vorschlag, dann müssten sie eben um 21 Uhr ins Bett, zieht nicht. Solche Argumente sind in Familien von einem bestimmten Alter der Kinder an nicht durchsetzbar und daher weitgehend lebensfremd.
Jürgen Zulley ist nicht der einzige Wissenschaftler, der die strikte Acht-Uhr-Regel ablehnt. Der Münchener Chronobiologe Till Roenneberg warnt ebenfalls davor, übermüdete Kinder und Schüler mit erheblichen Schlafdefiziten zu früh auf den Schulweg zu schicken - wegen erhöhter Unfallgefahr im Straßenverkehr und geringer Konzentrationsfähigkeit im Unterricht.
Und die Nachtruhe scheint noch eine weitere wichtige Bedeutung zu haben: Zu wenig und schlechter Schlaf führt mit hoher Wahrscheinlichkeit zu Übergewicht. Eine Studie der Universität München mit Grundschülern hat zu dem Ergebnis geführt, dass der Body-Mass-Index (BMI, das Gewicht im Verhältnis zur Körpergröße) bei Kindern mit Schlafmangel deutlich erhöht ist.
Häufig ist das Phänomen in bildungsfernen Schichten anzutreffen, die sozial schlechter gestellt sind und oft einen Migrationshintergrund haben. Das Problem ist - wie die meisten Probleme in Deutschland -Êein gesellschaftliches, das sich nur mit enormem Aufwand, Geld und Kontrolle (Ganztagsschulen, Ernährungskurse, tägliche Sportstunde zum Unterrichtsbeginn) bewältigen lässt.
Das politische Totschlag-Argument der leeren Kassen darf hier nicht gelten, weil unsere Zukunft von dieser Entwicklung ganz entscheidend abhängt.

Artikel vom 01.06.2006