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Sönke Wortmann schießt
WM-Bilder aus der Hüfte

Regisseur im Trainingsanzug begleitet Nationalspieler bis ins Bett

Von Dietmar Kemper
Bielefeld (WB). Michael Ballack und Lukas Podolski bereiten sich im Trainingslager auf Sardinien vor. Mit der Kamera dabei ist Sönke Wortmann. Keiner darf so nah an die Fußball-Nationalmannschaft heran wie er. Sogar Umkleidekabine und Schlafzimmer sind für den Filmemacher nicht tabu.

Der Regisseur des Kassenschlagers »Das Wunder von Bern« (2003) hat als einziger vom Deutschen Fußball-Bund die Erlaubnis bekommen, auch das Geschehen außerhalb der Stadien zu dokumentieren. Wortmann spricht von einem »Traumprojekt« und schwärmte in einem Interview mit dem »Tagesspiegel«: »Ich bin vor jedem Spiel mit in der Kabine, in der Halbzeit auch und nach dem Spiel. Ich gehöre quasi zum Betreuerstab. Alle tragen Trainingsanzüge. Ich auch.« Bei seiner Arbeit verzichtet Wortmann auf eine Crew: »Ich mache das ganz alleine. Die Kameras sind heute so gut, dass sie sendefähig sind, auch wenn sie klein sind. Es ist keiner dabei, der noch den Ton angelt, nur ich, im gleichen Trainingsanzug wie die anderen. Und in der Hüfte läuft eine Kamera mit.«
Die Generalprobe beim Confederations Cup im vergangenen Jahr habe gezeigt, dass sich die Spieler schnell an seine Begleitung gewöhnt haben. Dem Fußball-Magazin »RUND« sagte Wortmann, er werde trotz der Vertrautheit nicht alles zeigen: »Es gibt eine Verabredung: Wenn Jürgen Klinsmann eine Äußerung macht, die irgendjemandem gegenüber respektlos ist, dann kommt sie nicht in den Film. Es geht darum, zu zeigen, wie eine Mannschaft funktioniert. Kritisch, aber nicht auf Sensationen aus.«
Deutschlands Nationaltrainer schätzt er, weil er gut an die Spieler herankomme und sie »stark redet«. Wenn Wortmann die Nationalmannschaft hinter den Kulissen dokumentiert, auf dem Trainingsplatz oder am Frühstückstisch, orientiert er sich an »Les Yeux dans les Bleus«. Die Augen auf die Blauen hatte 1998 der Regisseur Stéphane Meunier bei der WM in Frankreich gerichtet. Die Spieler der Equipe Tricolore werden die Blauen genannt, und die Dokumentation über die vier Wochen bis zum WM-Triumph dient Wortmann als Vorbild.
Dieser Film, der in Frankreich inzwischen Kult ist, hat den Deutschen »sehr beeinflusst«. Da sei jemand so nah dran an Situationen gewesen, »die mich und wahrscheinlich jeden Fußballfan interessieren«. Als Beispiel für solche Situationen nannte Wortmann (47): »Während der Mannschaftbesprechung erklärt der Trainer, wie es am besten geht Ronaldo auszuschalten. Die Kamera war mit den Spielern sogar im Schlafzimmer. Ein Innenleben der Nationalmannschaft zu sehen, fand ich unheimlich faszinierend.«
Wenn er mit den deutschen Spielern zusammen ist, werde er drehen, »was sich mir bietet«, versprach der Regisseur von Erfolgsfilmen wie »Der bewegte Mann« und »Kleine Haie«. Er wolle »ganz nah ran an die Spieler«. Das Verhalten und die Bewegungen der Kicker vor seiner unscheinbaren Kamera möchte er gleichwohl nicht manipulieren. Bei einem Dokumentarfilm müsse man »die Wirklichkeit so nehmen wie sie kommt«.
Dass er auf ausgebildete Schauspieler verzichten muss und es nur mit »Laien« zu tun hat, sieht Wortmann nicht als Problem an: »Ich arbeite ja nicht mit denen. Die sind so wie sie sind. Ich filme sie einfach nur und sage nicht: Mach das mal so oder so.«
Wie Fußballer »ticken«, weiß Sönke Wortmann aus eigener Erfahrung. Schließlich war der in Marl geborene Ruhrpottjunge drei Jahre lang selbst Profi bei der Spielvereinigung Erkenschwick. Während dieser Verein in den Niederungen der Oberliga verschwunden ist, soll die deutsche Nationalmannschaft weit kommen. Wortmann traut es ihr zu und möchte nur zu gern die Erfolge mit den Augen des Filmregisseurs dokumentieren.

Artikel vom 19.05.2006