13.05.2006 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Jede dritte Kirche gefährdet

Von Schließung bedrohte Gotteshäuser für Gemeindearbeit nutzen

Von Ernst-Wilhelm Pape
Bielefeld (WB). Ein Drittel der bundesweit 45 500 evangelischen und katholischen Kirchen werden in Zukunft für Gottesdienste und Messen nicht mehr benötigt. Diese Zahl hat am Freitag der Kölner Architekturhistoriker Professor Dr. Wolfgang Pehnt (74) genannt.
Wolfgang Pehnt: Ehrliche Bilanz ziehen.

Gefährdet sei der Bestand von mehr als 15 000 Gotteshäusern, weil die Zahl der Gemeindemitglieder stetig sinkt und deshalb die Kirchensteuereinnahmen rückläufig sind. Die finanzielle Lage der meisten Diözesen und Landeskirchen sei besorgniserregend bis desolat.
Pehnt bezweifelt das Ergebnis einer Umfrage der Deutschen Bischofskonferenz, wonach lediglich drei Prozent der vorhandenen 24 500 katholischen Kirchenbauten, nämlich 700, geschlossen oder veräußert werden müssten. Meldungen über Kirchenschließungen in der Ruhrdiözese Essen (96 der 350 Bauten sollen aufgegeben werden), des Bistums Aachen (Verzicht auf 120 Kirchen und Kapellen) und des Erzbistums Berlin (ein Viertel der Gebäude soll eingespart werden) ließen eine deutlich höhere Quote erwarten.
Pehnt zufolge versuche die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) den Eindruck zu erwecken, das Problem leerstehender Kirchen betreffe sie weniger als die Schwesterkirche. Stichproben machten auch hier skeptisch. Der evangelische Kirchenkreis Alt-Hamburg rechne zum Beispiel damit, sich von 35 seiner 127 Kirchen zu trennen.
Pehnt lehrt Architekturgeschichte an der Ruhr-Universität Bochum und ist zudem Mitglied der Berliner Akademie der Künste, Berlin und der Bayerischen Akademie der Schönen Künste (München). Er fordert die katholische und die evangelische Kirche auf, eine ehrliche Bilanz zu ziehen, damit der Umfang der Kirchenschließungen deutlich werde. Es dürfe keine Beschwichtigungspolitik betrieben werden.
Pehnt hält nicht jede in der Eile früherer Konjunkturen gebaute Kirche für erhaltenswert. Es müsse zudem untersucht werden, ob nicht besser Nebengebäude aufgegeben werden sollten. Kirchen könnten zum Beispiel auch für die Gemeindearbeit genutzt werden. Zudem könnten Fördervereine gegründet und Partnerschaften organisiert werden.
Auch die Möglichkeit, Kirchen an nichtchristliche Glaubensgemeinschaften, wie Juden oder Muslime, zu verkaufen, müsse diskutiert werden. Es sei borniert, diese Möglichkeit von vornherein rigoros auszuschließen.
In der Westfälischen Landeskirche (900 Kirchengebäude und Kapellen) sind von 2001 bis 2006 neun Kirchen entwidmet und 42 weitere Gottesdienststätten aufgegeben worden. Die Rheinische Landeskirche geht davon aus, dass von ihren 2500 Predigtstätten in Zukunft jährlich ein Dutzend aufgegeben wird. Im Erzbistum Paderborn (438 Kirchen) sind bisher lediglich vier Gebäude verkauft worden, davon zwei Kirchen.
Seite 4: Leitartikel
Nordrhein-Westfalen: Bericht

Artikel vom 13.05.2006