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Bischöfe trotzen Rassismus nach der Bluttat erst recht

30 Kirchen und Moscheen gewähren illegalen Ausländern derzeit Asyl

Von Roland Siegloff
Brüssel/Antwerpen (dpa). Ganz Belgien ist geschockt, das Erschrecken über eine rassistische Gewalttat, der zwei Menschleben zum Opfer fallen, geht über das Nachbarland hinaus.

Ein 18-Jähriger in Springerstiefeln und schwarzem Mantel lässt sich den Schädel rasieren, kauft für 500 Euro ein Jagdgewehr mit 20 Kugeln und schießt kurz danach kaltblütig auf drei Menschen: Ein afrikanisches Au-pair-Mädchen und ein zwei Jahre altes Kind sterben. Eine Türkin, die vor einem flämischen Sprachzentrum ein Buch liest, wird schwer verletzt. Das Verbrechen, verübt am sonnigen Donnerstagvormittag mitten in Antwerpen, stürzt Belgien in eine neue Debatte über Rassismus und Fremdenhass.
»Jeder kann jetzt sehen, wozu Rechtsextremismus führen kann«, sagte der sichtlich schockierte Regierungschef Guy Verhofstadt nach dem traurigen Höhepunkt fremdenfeindlicher Taten der vergangenen Wochen. Wenig später bestätigte die Staatsanwaltschaft, der Täter, der mit einem Bauchschuss im Krankenhaus lag, habe gezielt auf Fremde geschossen. Außerdem: Der Tierpflegeschüler trug zur Tatzeit rechtsextremes Propagandamaterial bei sich, suchte seine Opfer ganz offenbar nach der Hautfarbe aus. Eine Tante des Schützen sitzt für die offen fremdenfeindliche Flamen-Partei Vlaams Belang im Parlament.
Die Spitzen des früheren Vlams Blok wiesen umgehend jede Verantwortung für das Verbrechen von sich. Doch Vertreter der demokratischen Parteien meinen, nun gehe die Saat der Ausländerhasser auf. Mit dem Slogan »Eigen volk eerst« (Das eigene Volk zuerst) ist der Vlaams Belang zur größten Partei in Antwerpen geworden. Auf Flugblättern fordern die Separatisten unter der Abbildung brennender Autos »Stoppt die Einwanderung« und ziehen über kriminelle Jugendliche mit fremden Namen und Asylbewerber her.
Praktische Unterstützung bekommen abgelehnte Asylbewerber und andere Ausländer ohne gültige Aufenthaltspapiere hingegen von der katholischen Kirche. Deren Bischöfe äußerten fast zeitgleich mit der Wahnsinnstat von Antwerpen ihr Verständnis für die zunehmenden Kirchenbesetzungen im Land. In 30 Gotteshäusern und einigen Moscheen haben hunderte Menschen derzeit Zuflucht gesucht. Sie fordern ein Bleiberecht. In einem Brüsseler Asylbewerberheim sind 80 abgelehnte Bewerber seit Tagen gar im Hungerstreik.
Auch viele Belgier setzen sich für die Zugewanderten ein.
In verschiedenen Städten sorgen Unterstützergruppen für Nahrung, Seife und Öffentlichkeit. Juristen fordern ein Bleiberecht für alle Menschen, die mindestens drei Jahre in Belgien sind. Viele Bewerber warten wegen des schleppenden Fortgangs ihrer Verfahren schon länger auf eine Entscheidung - und dies, obwohl die Zahl der Asylbewerber wie in Deutschland auch in Belgien seit Jahren sinkt.
Innenminister Patrick Dewael lassen die Aufrufe bislang kalt. Der Parteifreund des Liberalen Verhofstadt laviert zwischen positiven Bescheiden im Einzelfall und einer insgesamt unnachgiebigen Abschiebepraxis für illegale Einwanderer. Erstmals erlaubte Dewael jüngst indes Aufnahmen in belgischen Abschiebegefängnissen - für einen Film des kongolesischen Journalisten Zacharie Bababaswe mit dem Titel »Vanda na Mboko« (Bleib in deinem Land). Bilder vom Blutbad in Antwerpen waren in dem Dokumentarstreifen allerdings nicht eingeplant.

Artikel vom 13.05.2006