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Das Land der Maya mit der Seele suchen
Die Ruinen von Chichen Itza beherbergen bis heute tausend Mysterien
Die Magie des Unsichtbaren liegt über Yucatan. Jeden Mittag strömen etwa 6000 Touristen in das Maya-Heiligtum von Chichen Itza, Mexikos berühmtester Sehenswürdigkeit. Sie kommen aus den Hotels von Cancun ebenso wie per Mietwagen oder Kreuzfahrtschiff.
Sogar die »Aida«, die vor der Insel Cozumel ankert, bietet auf der winterlichen Mittelamerika-Kreuzfahrt ihren Gästen dieses einzigartige Erlebnis, welches man sich mit rund sieben Stunden strapaziösem Transfer erkauft. Doch um diesen Ort zu sehen, sollte man wirklich keine Mühen scheuen. Es liegt ein Zauber über Chichen Itza, den man freilich nicht verspürt, wenn man die Ruinen als einen Haufen toter Steine begreift.
Diese erzählen mehr als nur eine Geschichte: Viele Einheimische haben den siebten Sinn und erfühlen damit den Geist und die Bestimmung jenes Ortes. Der Glaube an alte Riten ist noch lebendig, besonders bei den Menschen, die mit den Relikten tagtäglich zu tun haben.
Auch die Archäologen haben mittlerweile gelernt, den Göttern Opfer darzubringen. Wurde in der Vergangenheit auf diese Riten verzichtet, geschahen Unfälle - häufig dort, wo früher die Maya ihre Menschenopfer darbrachten. Erst im Dezember 2005 stürzte wieder eine Touristin von der großen Pyramide hinab in den Tod. Seitdem sind die Besteigungen bis auf Weiteres verboten worden.
Sind die Gebäude mit einem Zauber belegt? Nicht nur die Einheimischen von Yucatan glauben das, auch die ansonsten so rationalen Verfechter neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse. Ein Dokumentarfotograf, so erzählt einer der Führer vor Ort, glaubte nicht an die Geister - auch nicht, als seine Kamera den Dienst quittierte. Er ließ sie reparieren, aber sie machte dennoch keine Bilder. Er kam mit einer nagelneuen Kamera, doch wieder klappte es nicht. Erst als er ein Opfer dargebracht hatte, funktionierten beide Kameras tadellos.
Rund um Chichen Itza leben noch Menschen, die in der alten Kultur der Maya verhaftet sind. Schamanen sind ihre Seelsorger, sie tanzen sich zu Trommelrhythmen in Extase. Diese Musik, Jahrhunderte alt, berührt die Menschen heute noch tief in der Seele. Das sagt auch Holzschnitzer Pablo, der seine Fertigkeiten vom Vater gelernt hat und nun seinen Sohn Manuel in der Kunst unterweist. Pablos Schnitzereien sind ein perfektes Abbild der Götter von Chichen Itza. Geeignetes Holz findet er nur noch tief im Regenwald. Der Weg dorthin ist weit.
Es sind nicht die Schnitzer wie Pablo, die den Wald zerstören - ihre Holzentnahme fällt kaum ins Gewicht. Aber das Geschäft mit den Touristen lockt zu viele Siedler an. Die benötigen Land, und das roden sie sich ohne Rücksicht auf das Ökosystem Regenwald. Viele Menschen dort, die noch reines Mayablut in ihren Adern haben, sehen es mit Unbehagen. Sie pflegen ihr kulturelles Erbe sorgsam, aber kommen nicht umhin, die Kutsche gegen das Auto und das Keramikgefäß gegen den Plastikeimer einzutauschen.
In nicht einmal 20 Jahren hat sich der Charakter der Region gründlich gewandelt. Die Maya-Häuser weichen mehr und mehr Steinbauten, der Zivilisationsmüll in Form von Plastikabfällen sammelt sich im Straßengraben. Und rund um Chichen Itza stehen heute mehrere Hotels.
Betritt man die Ausgrabungsstätte, fühlt man sich unwillkürlich an das griechische Olympia erinnert. Ähnlich wie dort stehen Säulen inmitten eines lichten Hains. Doch schnell wird klar, dass der Geist ein anderer ist...
Viele Mythen ranken sich um die gewaltige Anlage. Als sie 1511 von Spaniern entdeckt wurde, da lag sie bereits verlassen im Dschungel. Im immergrünen Regenwald, wo neben Giftschlangen viele weitere Gefahren lauern, findet man heute noch mehr als tausend nicht erschlossene und restaurierte Ruinen! Auch deutsche Archäologen forschen dort.
Peter Schmidt heißt der Mann, der derzeit die ältesten Ruinen erforscht - streng separiert vom Tourismus. Manche Bauten scheinen fluchtartig verlassen worden zu sein, nachdem die Reliefs zerstört wurden. Protestierten die damaligen Bewohner gegen ihre Herrscher? Es gibt viele Theorien zum Untergang von Chichen Itza und den anderen Orten der Maya-Kultur. Krankheiten, Hunger und Krieg waren es definitv nicht. Vermutlich brach die soziale Ordnung zusammen, der Glaube an die soziale Sonderstellung der Adeligen ging verloren. Aber warum?
Gebaut wurde Chichen Itza im Zeichen des Schlangengottes Kukulkan, lange bevor die Menschen auf Yucatan das Rad kannten. Im Inneren seiner Pyramide steht der Opferthron der Könige, bewacht von einem roten Jaguar, beide sind steinerne Zeugen blutiger Rituale und wegen des Besteigungsverbotes für die Pyramide nun nicht mehr zu besichtigen. Dafür werden auch in Zukunft an jenen wenigen Tagen im Jahr, an denen die Sonne ein schlangenförmiges Licht- und Schattenspiel auf die Stufen der Pyramide wirft, zigtausende Besucher erwartet, die sich dieses magische Schauspiel nicht entgehen lassen wollen.
Ein weiterer Schwerpunkt der Ausgrabungsstätte ist das Observatorium, Sinnbild der Macht der Priester. Sie bestimmten die Zeitpunkte für Ernte und Krieg, wenn es zu trocken war, beteten und tanzten sie den Regen herbei. Ein ausgeklügreltes Lochsystem in der Mauer ließ sie Sonnenfinsternisse voraussagen und den Lauf des Mondes sekundengenau berechnen.
Chichen Itza ist ein Quellort. Eines Tages ließen die Götter den Brunnen wohl versiegen. Das größte unterirdische Wasserlabyrinth der Welt liegt unter der Halbinsel Yucatan - eine Herausforderung für die besten Höhlentaucher der Welt. Nur fünf Grad beträgt die Wassertemperatur. Berühren die Taucher den Grund, wirbelt Sediment auf und vernebelt die Sicht. Jedes Jahr sterben Taucher, weil sie sich in den Gängen verirren. Gelingt es ihnen, die Stalagtiten zu vermessen, so geben die Ergebnisse Aufschluss über Trockenzeiten der vergangene Jahrhunderte, denn sie wachsen nur im Trockenen. Experten lesen die Höhlen wie ein Geschichtsbuch. Vor 1200 Jahren herrschte in Yucatan unvorstellbare Dürre. Am Grund vieler Einstiege in dieses unterirdische Wassersystem wurden Opfergaben aus Gold gefunden, man vermutet, sie galten den Mayas als Pforte zum Jenseits. Thomas Albertsen
www.yucatan-guide.de

Artikel vom 13.05.2006