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Familien-Ritual
beim Festmahl
Ich roch den Braten nicht, als es in der festlich geschmückten Wohnung gerade nach Braten roch und sich die Familie meines Freundes mit strahlenden Augen nicht unter, sondern vor dem noch viel mehr strahlenden Weihnachtsbaum versammelte.
Auch ich als einziger Fremder sammelte mich und sah zu, wie die Hausfrau ein altes Hausritual ablaufen ließ und die in einer langen Reihe nacheinander auf einem langen Keramikgebilde bereitliegenden kleinen Klöße auf die großen Teller legte. Auf den ersten Teller drei, auf den zweiten zwei, dann einen, drei, zwei, zwei, einen, zwei, drei und ganz am Ende zwei für michÉ
»Zuerst bekommt der Opa seine Sachen«, flüsterte mir ein Insider ins Ohr, »dann die Mutti, die Oma, der Onkel, die Schwägerin, der Vati, die Tante, die Enkelin, der Schwager und dann du!«
Pech für diesen Chefkoch-Schwager in der Küche, der aus Bosheit den vierzehnten Kloß mit kleinen, zahnschädigenden Steinchen präpariert hatte, denn ich wusste nun, wen er schädigen wollteÉ Wissen Sie es auch?

Artikel vom 13.05.2006