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Die Thomas Bachsche Einheitsliste wird in der Paulskirche wie einst im Sozialismus nur abgenickt werden.

Leitartikel
Gründung des DOSB

Ein Kind
mit großem
Geburtsmakel


Von Oliver Kreth
Es war eine schwere Geburt. Darum ist die Freude auch so groß. Allerdings nicht bei allen, denn das sportliche Kind hat einen ganz gewaltigen Geburtsmakel: Sein Schöpfungsakt verzeichnet ein großes Defizit an Demokratie und Transparenz. Eine Findungskommission hat bisher die sportpolitische Debatte ersetzt. Seine vielen Paten, die ihn durchs Leben begleiten wollen, haben bedeutende Namen und häufig eine tolle sportliche Herkunft, von ihren Programmen weiß man bis heute, wo der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) getauft werden soll, allerdings herzlich wenig.
Aber ein Papa ist glücklich: Fecht-Olympiasieger Thomas Bach wird heute Deutschlands Obersportler - international ist er das ja schon als Vize-König des Internationalen Olympischen Komitees. Wenn das kein Grund zum Feiern ist.
Reichlich verlogen: Gerade an einer der Wiegen der deutschen Demokratie, der Frankfurter Paulskirche, wird in Anwesenheit von Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem Ober-Olympioniken Jacques Rogge die Bachsche Einheitsliste wie einst im Sozialismus nur abgenickt werden. Auch die letzten Aufmüpfigen haben auf eine Kandidatur verzichtet. Man hat sie im nichtolympischen Grabenkampf zermürbt.
Denn im deutschen Sport setzt man gerne auf Tradition. Persönliche Eitelkeiten scheinen erneut wichtiger als der angebliche Versuch, den nationalen Sport international wieder flott zu machen und dabei trotzdem sauber zu bleiben. Böse Zungen behaupten gar: Mit der Paulskirchen-Krönung sei Bach vor allem seinem Ziel, den IOC-Thron zu besteigen, einen entscheidenden Schritt näher gekommen. Das soll bei der Session in drei Jahren in Göteborg geschehen. Ein Deutscher auf dem Olymp - dafür kann man doch, schon aus nationalem Interesse, ruhig ein bisschen Diktatur ertragen, oder?
Nur einmal, ganz kurz, und gleich von vielen abgewatscht, hat einer aus dem Bach-Chor vorzeitig öffentlich gesungen: Eberhard Gienger, Ex-Weltmeister am Reck und Bundestagsabgeordneter. Der soll im DOSB für den Leistungssport und damit auch für den Bereich der Doping-Bekämpfung zuständig sein. Und was er von sich gab, war erschreckend naiv und töricht. An seiner erfolgreichen Zusammenarbeit mit einem Arzt aus Freiburg, dem in der Sportszene nicht nur in den 80er Jahren der Hautgout des Wunderheilers anhaftete und dem ein lockerer Umgang mit leistungsteigernden Mitteln nachgesagt wurde, sah er auch rückwirkend nichts Negatives. Frei nach dem Motto: Was ich tat, war damals legal. Mag sein. Aber bei einem Mann, der den Doping-Saustall ausmisten muss, erwartet man schon etwas mehr Einsichten. Legal ja, war es aber auch legitim, Herr Gienger?
Aber solche Kleinigkeiten sollen die schöne Feier nicht stören. Erst kommt die Party, um die Probleme kümmern wir uns dann später. In bewährter Sportfunktionärs-Manier sicher wieder zu spät.

Artikel vom 20.05.2006