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Von Gerhard Hülsegge

Bielefelder
Optik

Verantwortungslos


Das Spiel hat seinen Reiz: »Schwarzer Peter« nennt es sich und dürfte auch im Bielefelder Rathaus bekannt sein. Das Prinzip: nichts anmerken lassen, dumm stellen, »Pokerface« aufsetzen und das Problem aussitzen! Schon ist man auf der Gewinnerstraße und kann sagen: »Ich habe von nichts gewusst, die anderen sind schuld.«
Der Volksmund würde so ein Verhalten vielleicht als verantwortungslos schelten. Die Flucht vor der Verantwortung ist es allemal.
Dass Spiel und Wirklichkeit schnell eins werden können, durften die Anlieger der Rohrteichstraße am Freitagmorgen feststellen. Als vor dem Studieninstitut für kommunale Verwaltung (!) Westfalen-Lippe mit der Haus-Nummer 71 die Säge dröhnte, mochten sie zuerst nicht glauben, dass drei zum Teil uralte Linden abgeholzt werden sollten. Gesunde noch dazu.
Die Polizei kreuzt auf, der Verkehr muss umgeleitet werden. Der städtische Umweltbetrieb sieht die Politiker in der Verantwortung, die die Baumschutzsatzung abgeschafft haben. Der Auftraggeber und Vertretungsberechtigte - in diesem Fall kein Geringerer als Bielefelds OB - sind nicht zu sprechen. Also nimmt das Unheil seinen Lauf.
Wo sind die Verantwortlichen? Wer mag sich noch rechtfertigen? War es nur Zufall, dass die Säge an einem Freitag angesetzt wurde? Diese Fragen beschäftigen zu Recht die enttäuschten, besorgten und verbitterten Anlieger. Ihnen das letzte nennenswerte Grün zu nehmen, gleicht einem Husarenritt. Generationen haben sich am Anblick eines Baumensembles erfreut, das nun in einer Blitzaktion verschwinden soll. Das dies die Bürgerinnen und Bürger auf den Plan ruft, ist verständlich.
Und man darf darauf wetten, dass sich bereits in Kürze Politiker, Beamte und andere »Kapazitäten« zu Wort melden und mit dem Ausdruck tiefsten Bedauerns sagen werden: »Das haben wir natürlich nicht gewollt. Hätten wir nur eher davon erfahren . . .«
Ja, ja, dann wäre man vielleicht auf die Idee gekommen, die Bäume nicht zu fällen, sondern nur radikal zu beschneiden und auf den berühmten »Stock« zu setzen, damit sie anschließend um so schöner gedeihen können. Der Mann mit der Säge hätte auch dabei sicher gerne geholfen. Und wäre jetzt nicht der Spiel-Verlierer.

Artikel vom 22.04.2006