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Rasantes Spiel ohne Grenzen

Frank Hilbrichs »Rosenkavalier« am Theater Bielefeld umjubelt

Von Uta Jostwerner
Bielefeld (WB). Was steckt nicht alles in diesem Rosenkavalier! Komödienstadl, Maskenball, Tollhaus, Schmachtfetzen, Melodrama und vor allem ein Spiel ohne Grenzen. Frank Hilbrich lässt in seiner Inszenierung des Strauss'schen Dreiakters dermaßen dicht, bewegt und spielfreudig die Puppen tanzen, dass einem Augen und -ÊGMD Peter Kuhn zieht musikalisch am gleichen Strang -ÊOhren übergehen.

»Für die Bühne ist dies gemacht . . .«, so die Intention des Librettisten Hugo von Hofmannsthal. Für die Oetkerhallen-Bühne, möchte man hinzufügen. Stellen sich doch Hilbrich und sein Bühnen- und Kostümbildner Volker Thiele der Aufgabe, die 1911 uraufgeführte Oper den räumlichen und spieltechnischen Bedingungen der Oetkerhalle optimal anzupassen. Wie schon in diversen vorangegangenen Inszenierungen -Êman denke nur an Nicolas Broadhurst »Reise nach Reims« - inspiriert die Übergangsspielstätte offenbar Regisseure dazu, die Essenz der Stücke minutiös herauszuschälen und mit den technischen Einschränkungen äußerst kreativ umzugehen.
Als Theater im Theater erscheint die zum mondänen Liebesnest geformte Guckkastenbühne des ersten Aktes, die den Blick auf Traversen und Leuchten nicht verbirgt.
Alles nur ein Spiel, das weiter geht, während das Publikum in der Pause den Saal verlässt und Kulissenschieber aus Versatzstücken unterschiedlichster Stilepochen ein geschmackloses Stadtpalais bauen und das scheinbar noch im Gange ist, wenn das Publikum zurückströmt. Hilbrichs Lust am Spielerischen, aber auch am komödiantischen Klamauk ist allgegenwärtig und offenbart sich in einfallsreichen Details, für die allein ein weiterer Besuch lohnt.
Sei es, dass drei lebende Schafe im Gefolge des ungehobelten Barons Ochs (Paraderolle, die dem auch stimmlich starken Brian Bannatyne-Scott wie auf den Leib geschneidert scheint) über die Bühne tapern. Andererseits, Stallgeruch verströmen der halbwilde, mit Standes- und Selbstbewusstsein reich gesegnete Bursche im Pelz und sein trinkstarkes Gefolge auch so. Kein Wunder also, wenn Neureichs Prinzesschen Sophie (Victoria Granlund verleiht ihr sowohl gesanglich als auch darstellerisch Profil) den landadeligen Macho nicht heiraten will und statt dessen den cherubinischen Octavian (Susanne Reinhard glänzt mit kraftvollem, strahlendem Sopran, darstellerischem Einfühlungsvermögen und Wandlungsfähigkeit) vorzieht. Ochs kümmert's nicht weiter, locken doch bereits die Ballonbrüste des Mariandl. Das Nachsehen hat bekanntlich die Marschallin, die in Melanie Kreuter eine stimmlich und darstellerisch nachfühlend anrührende Verkörperung findet.
Am Pult befeuert Peter Kuhn die Szene und die auf den szenischen Punkt genau spielenden Bielefelder Philharmoniker. Mit temperamentvollem Elan ließ er die komplexe, kleinteilige Partitur aushorchen und den Anachronismus in der Musik in spannungsvollen Schattierungen flimmern.
-ÊEine umjubelte, von Bravo-Rufen gekrönte Opernpremiere.

Artikel vom 11.04.2006