08.04.2006 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Der Herrscher des Strafraums

Deutschlands WM-Torwart Jens Lehmann: London ist seine neue Heimat

London (WB/klü). Wieder zu Null. Wieder kein Gegentor. Schon seit 749 Minuten hatte Jens Lehmann seine Kiste nun sauber gehalten, da wollte er nicht nur Taten sprechen lassen. Er sagte am Mittwoch nach dem Champions League-Spiel in Turin auch klare Worte.

Mit dem FC Arsenal war der Torhüter soeben in das Halbfinale eingezogen, da dachte er schon an die nächste Herausforderung. Die Fußball-Weltmeisterschaft in Deutschland, die zum Höhepunkt seiner Karriere werden soll. Und Lehmann wirkte bei dieser Aussage sicher und souverän: »Ich wäre sehr überrascht, wenn ich bei der WM nicht spielen würde.«
Wusste da einer schon mehr als die meisten anderen? Bei diesem Sat.1-Interview stand Oliver Bierhoff neben ihm. Der Europameister von 1996 ist heute Teammanager der Fußball-Nationalmannschaft. Und er gilt als dicker Freund des Torwarts. Sie kickten schon damals, als kleine Jungen, für den ETB Schwarz-Weiß Essen.
Bierhoff wurde im Turiner Studio auch die Torwart-Frage serviert, aber er konnte und durfte sich da selbstverständlich noch nicht deutlich äußern. Doch es war nie ein Geheimnis: Er schätzt Lehmann sehr - und gilt nicht unbedingt als glühender Anhänger des Konkurrenten Oliver Kahn.
Wie der Bundestrainer: Denn auch Jürgen Klinsmann setzte bei seinem Amtsantritt im Sommer 2004 ein deutliches Signal. Kahn war ab sofort nicht mehr sein Kapitän, außerdem ernannte er Lehmann zum Herausforderer und gleichwertigen Rivalen.
»Das war für mich eine normale und überfällige Entscheidung«, bewertet Lehmann noch heute rückblickend diese folgenschwere Tor-Personalie. Denn er hatte sich schon immer für ebenbürtig gehalten, er nahm den Kasten-Kampf mit Kahn jetzt noch motivierter und engagierter wieder auf.
Ein möglicher Lehmann-Vorteil: Er bringt noch mehr Erfahrung mit. Denn während Kahn seit 1994 immer nur für Bayern München hielt, wechselte Lehmann mehrfach die Vereine. Mit Schalke holte er 1997 den UEFA-Cup, 1998 unterschrieb er beim AC Mailand.
Schon nach einem halben Jahr und gerade mal fünf Einsätzen wurden wieder die Koffer gepackt. Trotzdem eine Zeit, die er heute nicht missen möchte: »Ich fühlte mich in Italien nie wohl, aber ich habe viel gelernt.« Dortmund hieß die nächste Bundesliga-Station. Inzwischen steht er beim FC Arsenal im Kasten, ist ruhiger und reifer geworden. Seine Stärke gegenüber Kahn: Lehmann spielt mehr mit, bereinigt Strafraum-Situationen besser - und behält hier inzwischen klaren Kopf: »Karten sehe ich nicht mehr so oft.«
In der Bundesliga, da rastete Lehmann mehrfach aus. Zwei Rote und zwei Gelb-Rote Karten sind für einen Torwart eine nicht ganz normale Bilanz. »Ich stehe auf dem Platz eben immer unter Strom«, bekennt er. Dazu passt sein Sternkreiszeichen: Lehmann wurde am 10. November 1969 geboren. Ein Skorpion, der gern mal sticht.
Privat lässt er es viel ruhiger angehen. Ein gutes Buch oder eine Surf-Halbzeit im Internet: umschalten und abschalten vom hektischen Fußball-Betrieb. Mit Ehefrau Conny und den drei Kindern fühlt er sich in London inzwischen zu Hause: »Eine tolle Stadt, in der ich noch länger leben könnte.«
Bis zum 30. Juni 2007 mindestens. Denn Lehmanns Vertrag mit dem englischen Spitzenclub FC Arsenal wurde schon vor Wochen vorzeitig verlängert.

Artikel vom 08.04.2006