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Jorge Luis Borges

»Der Mensch lebt in der Zeit, im Ablauf der Dinge, das zauberhafte Tier aber lebt in der Ewigkeit des
Augenblicks.«

Leitartikel
Robbenschlachten u. a.

Mit dem Knüppel auf die Schöpfung


Von Rolf Dressler
Es geschah in der Nacht vom Dienstag zum Mittwoch dieser Woche. Und es ist leider kein Einzelfall. Auf quälend langer Fahrt von Süd nach Nord quer durch Deutschland kippte der Anhänger eines Viehtransporters aus dem Oberallgäu auf den Asphalt der Südring-Auffahrt zum Bielefelder Ostwestfalen-Damm.
Die sogenannte Unfallbilanz: Sieben der gerade sechs bis sieben Wochen alten Jungrinder kamen um. 45 der insgesamt 135 Kälber, die in dem Lastzug auf engstem Raum zusammengepfercht waren, konnten nur durch das aufgerissene Anhänger-Dach gerettet werden. Die Beine vieler der von Todesangst befallenen Tiere hatten sich so ineinander verkeilt, dass die Rettungskräfte zuvor die Trennwände mit Brecheisen aufstemmen mussten.
Normales Geschäft?
In ihrem heldenhaften Kampf gegen die Vogelgrippe in der Türkei, in China und vor allem auch in Indien, dem größten Geflügel-»Produzenten«-Land der Welt, »beseitigten« willige Helfer oft nur binnen Stunden zu Hunderttausenden, ja, Millionen Hühner und anderes Federvieh. Wohl der Einfachheit halber wurde das flatternde Getier bei lebendigem Leibe in hohem Bogen in riesige Erdlöcher geworfen. Oder man richtete im Schnelldurchgang Todesgiftbrausen kurzerhand direkt auf die Kreatur in den Massenkäfigen, so dass sie blitzartig »hinüber« war. Die Schreckensbilder bleiben unvergessen.
Maßloses Wüten? Oder normales Geschäft?
Die Fangverbote für die existentiell bedrohten Wale, diese wundervollen Geschöpfe, werden immer wieder aufgeweicht und heimlich unterlaufen. Oder sogenannte traditionelle Walfang-Nationen wie Norwegen und Japan erwirken zweifelhafte Ausnahmegenehmigungen, mal auf halbwegs geraden, mal auf krummen Wegen, je nachdem.
Auch das nur normales Geschäft?
Ganz und gar zurück in die Steinzeit indes weist der Horror, den der sogenannte Homo sapiens, der angeblich weise (!?) Mensch, Jahr für Jahr wie auch in diesen Tagen an hunderttausenden junger Robben austobt. Mit Eisenharken, Hacken, Spaten, Forken und Holzknüppeln erschlagen, nein, ermorden Kohorten bestens »geübter« Schlächter im kanadischen Eis die hilflosen Tiere. Bis zu 1000 pro Woche schaffe ein tüchtiger Berserker in Menschengestalt, tönt es voller Stolz. 45 Euro winken für jedes Fell. Das fetzt und spornt offenbar ganz mächtig an. In jedem Frühjahr aufs Neue, amtlich genehmigt.
Ein schrecklich-schaurig selbstverständliches Geschäft.
Einhalt aber ist nirgends in Sicht. Denn hier wie dort bestimmen Interessengruppen, wo's langgeht ins moralische und ethische Nichts - und darüber, was der Mensch, der sich so gern zugute hält, die Krone der Schöpfung zu verkörpern, eben dieser Schöpfung an Grauenhaftem meint antun zu dürfen.
Bedenkt man all dies, dann hätte jeder einzelne Tier- und Naturschützer ein eigenes Denkmal verdient. Zumindest aber einen Orden zum Dank.

Artikel vom 01.04.2006