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Spektakulär unspektakulär
oder: weniger ist mehr

Martin Stadtfeld verzaubert im »Pro Musica«-Konzert

Von Uta Jostwerner
Bielefeld (WB). Was den Sängern ihre Anna Netrebko ist den Pianisten ihr Martin Stadtfeld. Beide sind jung, ausgesprochen »vorzeigbar« und hoch talentiert. Beide haben einen raketenartigen internationalen Karrierestart hingelegt, der noch reichlich künstlerisches Entwicklungspotenzial verspricht. Einer Offenbarung kam es dann auch gleich, den jungen Klavierhelden Stadtfeld im »Pro Musica«-Konzert zu erleben.

Den großen Auftritt meistert der 25-Jährige ganz ohne pianistische Kraftmeierei, ohne protzende Virtuosität und esoterisch-abgeklärte Selbstbezogenheit. Elegant, feingliedrig und bis in feinste Grade dynamisch nuanciert, perlt sein Spiel dahin, das in der ersten Konzerthälfte ganz im Zeichen der Klavierkunst Johann Sebastian Bachs stand.
Mit den »Inventionen« des Barockkomponisten plagen sich Klavierschüler auf der ganzen Welt, gelten sie doch als ideale Unterrichtsliteratur vor allem zur Erzielung der Unabhängigkeit und völlen Gleichberechtigung beider Hände. Nicht so Stadtfeld.
Die »executio«, das Handwerkliche, geht ihm geradezu göttlich von der Hand, beziehungsweise von den Händen, die hörbar differenziert agieren. Bezogen auf die »elaboratio«, die kunstvolle Ausarbeitung, folgt Martin Stadtfeld offenbar dem Motto »weniger ist mehr«: Weitgehend effektlos, geradezu nüchtern und in klar strukturierter Durchsichtigkeit fächert der junge Pianist die 15 zweistimmigen Inventionen auf. Das Ergebnis ist - wie schon zuvor bei der Toccata D-Dur BWV 912 - von Êspektakulär unspektakulärer Wirkung und wirft einen völlig neuen Blick auf den Kosmos jenes sinnlich erfahrbaren Klangmaterials. Womit Stadtfeld hier vornehmlich betört, ist seine zart versponnene, federnd-pointierte Anschlagskultur, die er auch noch bei irren Tempi (etwa Nr. 8) beibehält.
Elegant und technisch brillant kommt auch das Italienische Konzert BWV 971 daher. Noch nüchtern distanziert im ersten Satz, gestattet sich Stadtfeld im zweiten einen Hauch von Intimität, ehe das Presto raffiniert und mit jugendlichem Elan dahinperlt.
Strategisch geht er nach der Pause auch Frédéric Chopins Balladen Nr. 1 bis 4 an. Stadtfelds Interpretation enthält bei zwingender Phrasierung mehr Nachdenkliches als Sentiments, und irgendwie entsteht der Eindruck, dass er sich dem romantischen Schwelgen bewusst verweigert. Gleichwohl ist sein Spiel von betörenden Schmelz überzogen, und fast möchte man den Atem anhalten bei der Zartheit seines Anschlags, der Brillanz seiner brausenden Läufe, der Rasanz seiner Arpeggien.
Tosenden Beifall umfing den ganz konventionell im Frack gewandeten Star nach seinem Vortrag. Der bedankte sich in drei Zugaben mit grazil figurierter Klavierkunst: einer Busoni-Bearbeitung des Bach-Chorals »Nun freut Euch, Ihr lieben Christen«, Mozarts »Alla turca« sowie einer dreistimmigen Invention.

Artikel vom 25.03.2006