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4000 Mediziner im Ausstand

Streit der Gewerkschaften über Einkommens-Angebot an die Ärzte

Berlin (dpa). Zum vorläufigen Höhepunkt der bundesweiten Ärztestreiks haben gestern mehr als 4000 Mediziner an Universitäts-Kliniken ihre Arbeit niedergelegt.
»Wir haben noch eine ganze Menge mehr im Köcher«, erklärte gestern der Vorsitzende der Ärztegewerkschaft Marburger Bund (MB), Frank Ulrich Montgomery.
Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi und die Tarifunion des Beamtenbundes (dbb) kritisierten ein Angebot der Länder an die Ärzte als zu hoch und als Versuch, die Klinik-Belegschaften zu spalten.
Nach Angaben des Marburger Bundes bedeutet der Länder-Vorschlag dagegen eine vierprozentige Einkommenskürzung für die Ärzte.
In 20 Städten leisteten die Uni-Mediziner Operationen und Untersuchungen nur in Notfällen. Die Ärzte bestreikten die UniversitätsKliniken in Köln, Bonn, Mainz, München, Regensburg, Ulm, Magdeburg, Göttingen, Freiburg, Heidelberg und Tübingen sowie außerdem alle baden-württembergischen psychiatrischen Landeskrankenhäuser. Heute sind erneut Streiks in 20 Städten sowie eine Demonstration in Hannover geplant, dem Sitz von Länder-Verhandlungsführer Hartmut Möllring (CDU).
Die Universitätsklinik Bonn schließt wegen des Streiks im öffentlichen Dienst betriebsbedingte Kündigungen nicht mehr aus, wenn sich der Arbeitskampf noch monatelang hinziehen sollte. »Bei über 20 Millionen Euro Schaden hört der Spaß auf. Denn irgendwann geht's nicht mehr«, sagte der ärztliche Direktor Michael Lentze. Nach seinen Angaben kostet der Streik die Klinik 250 000 Euro am Tag.
Verdi und dbb-Tarifunion warfen der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) vor, die Beschäftigten gegeneinander ausspielen zu wollen. Die den Ärzten angebotenen Gehaltserhöhungen gefährdeten die Teamarbeit an den Kliniken. Zu den Pflegekräften habe die TdL kein Angebot vorgelegt. »Für die Ärzte hui, für alle anderen pfui«, sagte der Verdi-Vorsitzende Frank Bsirske.
Als »Vernebelungstaktik« wies hingegen Montgomery die TdL-Darstellung zurück, die Länder hätten den Medizinern deutliche Lohnzuwächse angeboten. Angesichts der vorgesehenen Verlängerung der Arbeitszeit von 38,5 auf 42 Stunden wolle die TdL den Lohn faktisch kürzen.
So soll etwa nach MB-Darstellung ein 35-jähriger Facharzt statt heute 3808 Euro brutto plus Zulagen nach dem TdL-Angebot 4300 Euro bei 42 Stunden bekommen. Auf 38,5 Stunden berechnet, sei dies eine Verschlechterung auf 3784 Euro.
Verdi und dbb-Tarifunion befürchten dagegen, dass Einkommensverbesserungen für die Ärzte an anderer Stelle in den Kliniken eingespart werden könnten. Montgomery sprach Verdi allerdings die Legitimation für Tarifverträge an Krankenhäusern ab, da nur noch 600 Ärzte dort organisiert seien.
Montgomery begrüßte zugleich Äußerungen des niedersächsischen Ministerpräsidenten Christian Wulff (CDU). Dieser geht davon aus, dass der Tarifkonflikt innerhalb der nächsten zwei Wochen gelöst werden kann.
Auch bei den weiteren Tarifkonflikten im öffentlichen Dienst der Länder und der baden-württembergischen Kommunen blieben die Fronten verhärtet.
Zu der erfolglosen Schlichtung im Tarifstreit mit den Kommunen in Baden-Württemberg sagte Bsirske, es sei das Ziel, auch im Südwesten Kompromisse wie in Hamburg und Niedersachsen zu erreichen. »Der Graben ist nicht so breit, dass ihn beide Seiten nicht überwinden könnten.« Vor Beratungen in Stuttgart sagte er: »Es ist jetzt Fantasie gefragt und der Wille, aufeinander zuzugehen.« Die Große Tarifkommission beriet eine neue Streiktaktik.
Geplant sind gezielte Aktionen gegen die Arbeitgeber, die jedoch über »Nadelstiche« hinausgehen sollen. Die Bevölkerung soll im Unterschied zu den ersten sechs Streikwochen weitgehend verschont bleiben.

Artikel vom 22.03.2006