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Im 21. Jahrhundert sind Informationen Geld wert - und wecken entsprechende Begehrlichkeiten.

Leitartikel
»Schnüffel-Technik«

Kleiner Chip
bietet große
Chancen


Von Thomas Lunk
Technologischer Fortschritt muss nicht immer spektakulär sichtbar sein: Ein Mikrochip soll den Warenverkehr revolutionieren; RFID-Chip haben ihn seine Erfinder genannt. Die Industrie will mit seiner Hilfe Warenströme verfolgen und lenken, der Einzelhandel dem Ladendiebstahl einen Riegel vorschieben, die Politik sieht in ihm eine Waffe gegen Terroristen und andere Verbrecher.
Die Buchstabenkombination RFID steht für »Radio Frequency Identification«: Eine weltweit einmalige Nummer und weitere Informationen werden dabei auf winzigen, batterielosen Chips gespeichert, die kaum größer oder dicker als ein Preisetikett sind und an Produkten oder Verpackungen befestigt werden. Ein Sender kann die Informationen ohne Berührung abfragen - ungehindert von Kleidung, Tasche oder Geldbörse.
Die Einsatzmöglichkeiten sind bestechend, die Begeisterung groß: Warenetiketten, Kunden- und Kreditkarten, Fahrscheine, Kleidung, Reisepässe sind RFID-tauglich - sogar unter die Haut soll uns der Chip gehen. Kombinationen aus Sender und Empfänger, die den Chip abfragen, kann man leicht nicht nur in intelligente Einkaufswagen oder Kassen, sondern auch in Türschwellen einbauen und so - zumindest theoretisch - Bewegungsprofile erstellen und Kaufgewohnheiten ausbaldowern.
Bei soviel Enthusiasmus und Daten-Sammelleidenschaft sehen Datenschützer rot - und wollen auf die Bremse treten. Von »Schnüffel-Chips« ist die Rede und vom »gläsernen Bürger«. Im Gegenzug wird den Hütern der Privatsphäre vorgeworfen, sie manövrierten Deutschland ins technologische Aus. Dabei ist ein gesundes Maß an Vorsicht durchaus angebracht.
Gesetze oder Vorschriften für den Einsatz der neuen Technik: Fehlanzeige. Dabei sind viele Fragen offen: Wer darf die Chips einsetzen? Was darf außer der eindeutigen Nummer gespeichert sein? Muss der Kunde wissen, dass eine Ware via RFID verfolgt werden kann? Muss der Chip entfernt werden können? Warum zum Beispiel muss der Chip in die Kleidung eingenäht werden, um den Weg einer Bluse vom Hersteller in Fernost zum Kunden zu verfolgen? Sollte er nicht auf dem Etikett sitzen, wo er leicht entfernt werden kann? Wer darf die Daten auslesen? Müssen die Angaben verschlüsselt werden, damit nicht Dritte Einblick nehmen können?
Im 21. Jahrhundert sind Informationen Geld wert - und wecken entsprechende Begehrlichkeiten. Die kleinen Chips bieten große Chancen. Sich den Möglichkeiten zu verweigern, hieße den Technologiestandort Deutschland zu beschädigen. Die Politik ist jetzt gefordert, rechtzeitig den rechtlichen Rahmen für eine geordnete Einführung der neuen Technik abzustecken und nicht erst tätig zu werden, wenn sie ihr missbräuchlicher Einsatz in Verruf gebracht hat. Die Industrie sollte offensiv und fair über RFID-Chancen und -Risiken informieren, bevor andere Ängste schüren und den Verbraucher einmal mehr verunsichern.

Artikel vom 13.03.2006