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»Der Sparkurs
verursacht
Folgekosten«

AWO fürchtet den sozialen Kollaps

Von Matthias Meyer zur Heyde
Bielefeld (WB). Erzürnt über die finanziellen Kürzungen, hat die Bielefelder »Arbeitsgemeinschaft Wohlfahrtsverbände« (AGW) den NRW-Politikern Wortbruch vorgeworfen. Der »kurzsichtige Sparkurs« verursache hohe Folgekosten - es drohe der soziale Kollaps.

»Die Düsseldorfer Landesregierung hat Zusagen, die sie im Wahlkampf und in der Regierungserklärung machte, nicht eingehalten«, wirft AWO-Geschäftsführer und AGW-Chef Rolf Potschies dem Kabinett Rüttgers vor. Nach den bislang bekannten Sparplänen müssten Bielefelds Sozialverbände mit 350 000 Euro weniger auskommen, aber die fehlende Summe werde sich am Ende wohl eher auf 500 000 Euro belaufen.
»Die Landesregierung betont immer wieder, sie wolle die Familie fördern, kürzt den entsprechenden Etat aber um vier Millionen Euro«, sagt Potschies.
In Bielefeld, wo jedes Jahr (geschätzt) 400 000 Kontakte gezählt werden - also Gespräche von rat- und hilfesuchenden Menschen mit AGW-Institutionen (städtische Einrichtungen nicht mitgezählt) - müssten 15 000 Beratungsstunden wegfallen. »Die volkswirtschaftlichen Schäden durch unverhältnismäßig hohe Folgekosten sind gewaltig«, meint Potschies.
Einige Beispiele (entnommen einer zehnseitigen Liste):
l Das Bielefelder Frauenhaus, wo im Jahr 2004 insgesamt 177 Frauen und 154 Kinder betreut wurden, wird wegen der Kürzung um 36 000 Euro (minus 30 Prozent) eine von vier Vollzeitstellen wegfallen. »Die qualifizierte Beratung rund um die Uhr ist künftig nicht mehr gewährleistet«, sagt Richildis Wälter, AWO-Referentin für Alten- und Frauenarbeit.
l Der Psychologische Beratungsdienst (Bielefeld und Baumheide; Kürzung: 19 700 Euro = minus 24 Prozent) verliert von bislang 3,5 Fachkraftstellen eine Drittel-Psychologenstelle. »Angesichts von bis zu 900 Ratsuchenden im Jahr sind nun Wartelisten unvermeidbar, und schlimmer noch - wir können nicht mehr adäquat auf aktuelle Krisen reagieren«, erklärte Uwe Reeske von der DPWV-Gesellschaft für Sozialarbeit.
l Die Caritas-Beratung für Suchtkranke (Kürzung: 10 200 Euro = minus 20 Prozent) sagt voraus, dass die betroffenen Frauen und Kinder künftig weit stärker unter Gewalt zu leiden haben werden. »Damit ist ihr Abdriften in Perspektiv- und Hoffnungslosigkeit vorgezeichnet - der Lebensweg der Jugendlichen führt ins Chaos«, sagt Elisabeth Mösenmeier, Geschäftsführerin des Caritas-Verbandes.
l Die Krisenberatung für Suizidgefährdete (Kürzung im 1. Halbjahr: 6500 Euro = minus 17 Prozent) wird zum 30. Juni geschlossen. »Und das, obwohl die Nachfrage von Betroffenen und Angehörigen stark steigt«, sagt Jürgen Puhlmann, stellvertretender Leiter des Ev. Gemeindedienstes.
l Die Flüchtlingsarbeit des Deutschen Roten Kreuzes (Kürzung: 14 000 Euro = 50 Prozent der Landesmittel) wird zwei Mitarbeiterinnen nur noch stundenweise beschäftigen - und bleibt auf fünf Monaten Lohnkosten sitzen. »Nur noch die Hälfte der Ratsuchenden - 2005 waren es 752 Menschen in 1752 Gesprächen - wird bei uns Hilfe finden«, befürchtet DRK-Kreisverbandsgeschäftsführer Ralf Großegödinghaus.
Wer zwei Volksinitiativen zugunsten einer zukunftsorientierten Kinder- und Familienpolitik unterstützen will: Unterschriftenlisten liegen in allen Geschäftsstellen der Wohlfahrtsverbände aus. Weitere Informationen gibt es unter
www.NRW-bleib-sozial.de
www.sozialesnetz-bielefeld.de

Artikel vom 13.03.2006