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Das Wort zum Sonntag

Von Pfarrer Hans-Jürgen Feldmann


An Mose werden Juden und Christen bis ans Ende aller Zeiten zurückdenken. Er ist die bedeutendste Gestalt, von der das Alte Testament erzählt. Mit ihm, der die Israeliten aus der ägyptischen Gefangenschaft in die Freiheit geführt hat, beginnt deren Geschichte im eigentliche Sinne. Auch im Islam gilt er - im Koran heißt er Musa - als großer Prophet.
Mose selbst aber, als er von Gott beauftragt wird, vor den Pharao zu treten, um Freiheit für sein Volk zu fordern und dieses auf die Befreiung vorzubereiten, kann darin keineswegs die besondere Ehre erblicken, die ihm damit zuteil wird. Im Gegenteil, er schaudert davor zurück; denn er meint, wenn einer sich dafür überhaupt nicht eigne, dann sei er es. Wieso soll ausgerechnet ich dazu berufen sein? Ich bin nicht redegewandt, und ich habe eine schwere Zunge. Bis zum Pharao würde man mich aller Wahrscheinlichkeit nicht einmal vorlassen, und für meine eigenen Leute könnte ich - bei meiner bisherigen Biographie - doch nur ein Nobody sein. Herr, sende, wen du willst, nur mich nicht!
Außerdem - so gehen die Einwände weiter - womit soll ich mich denn legitimieren? Ich habe doch nichts in der Hand, nicht einmal ein Stück Papier, einen Ausweis. Die anderen werden sagen: Da kann ja jeder kommen und behaupten, Gott habe ihn gesandt? Woran sollen wir erkennen, daß du kein Schwindler bist? Sie werden mich nach deinem Namen fragen, und nicht einmal den kenne ich. Aber Gott nennt keinen Name, nicht einmal das. Warum nicht?
Gott ist nicht irgendeiner und möchte erst recht nicht in die anrüchige Gesellschaft anderer Götter geraten, auch nicht als Möglichkeit. Er ist nicht einer unter anderen, sondern der Eine. Er ist nicht der, den die Menschen einordnen und in Begriffe fassen und sich somit gefügig, beherrschbar und dienstbar machen können.
Im Märchen klingt dieses Motiv noch an: »Ach wie gut, daß niemand weiß, daß ich Rumpelstilzchen heiß.« Wer den Namen kennt, hat den also Genannten in seiner Gewalt. Bei der Erkenntnis Gottes kommt es aber umgekehrt darauf an, sich von ihm mit dem eigenen Namen gerufen zu wissen und gewiß zu sein: Er kennt mich.
Trotzdem stellt sich Gott vor, freilich auf seine Weise: Ich bin der Gott eurer Väter, und ich bin Jahwe. Beides sind Erinnerung und Stenogramm einer Verheißung. Das Wort »Jahwe« wird zwar häufig als der alttestamentliche Gottesname verstanden. Aber es ist kein Name. »Jahwe« klingt eher wie ein Rätselwort und erinnert an ein Vexierbild und bedeutet: »Ich werde sein, der ich sein werde.«
Wenn du wissen willst, wer ich bin, heißt das, so blicke zurück, wie ich bereits an den Vätern und Müttern gehandelt habe. In der Vergangenheit sind meine Fingerabdrücke zu finden. Ich habe Menschen, die vor dir lebten, meinen Stempel aufgedrückt. Im blinden Spiel dessen, was als Geschichte gilt, ist eine Linie zu entdecken, eine Spur zu einem Ziel.
Das gilt übrigens auch vom eigenen Leben, wenn man es nur einmal rückwärts sorgfältig liest. Gott zeigt sich nie in seinem unverhüllten Wesen. Er ist immer in etwas anderem »drin«, in einer Verkleidung und Verpackung.
In dieselbe Richtung weist das Wort »Jahwe«: Ich werde mir auch zukünftig die Fäden nicht aus der Hand nehmen lassen. Ich behalte mir die Freiheit vor, wie ich mich erschließen und mitteilen werde. Es kann sogar manchmal so scheinen, als wäre ich nicht da. Aber ich bleibe euch treu und führe euch auf meinen Wegen. Daher heißt die Bezeichnung »Jahwe« eigentlich genauer: Ich will für euch da sein, und ihr werdet Gelegenheit haben, das zu merken (nachzulesen: 2. Mose/Exodus, 3 u. 4).

Artikel vom 11.03.2006