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Ganz alleine gegen den DFB

Fast hätte Werner Weih die WM im eigenen Land nur aus der Ferne verfolgt

Von Matthias Meyer zur Heyde
Bielefeld (WB). Dass Werner Weih 1974 Urlaub in Hamburg machen würde, war anfangs nicht abzusehen gewesen. Denn ausgerechnet, als die deutsche Nationalelf erstmals im eigenen Land auftrat, rückte der DFB kaum Karten raus - auch Weih, der als Schlachtenbummler zweier Weltmeisterschaften und einer EM zu überregionaler Berühmtheit gelangt war, sollte mit unwesentlichen Vorrundenspielen abgespeist werden.

Dann aber schickte ihm ein anonymer Spender aus Lippe Karten für die Spiele gegen Chile (1:0) und gegen Australien (3:0). Diese Siege wurden im Hamburger Volksparkstadion erkämpft, während Mama Weih und die Kinder die Sehenswürdigkeiten der Hansestadt bestaunten. Wer weiß: Vielleicht schleckte die Familie gerade ein kühles Eis und winkte zu den einlaufenden Dampfern hinüber, als Jürgen Sparwasser das 1:0-Siegtor für die DDR erzielte.
»Ein schöner Treffer«, findet Werner Weih noch heute. »Vor allem, weil die bundesdeutsche Mannschaft danach in der Zwischenrunde viel leichtere Gegner bekam als die DDR.« Ein wenig Schadenfreude schwingt in diesem Satz mit, in erster Linie aber war Ostwestfalens bekanntester Fan wütend. Wütend nicht auf Beckenbauer & Co., sondern auf den DFB, der immer noch auf seinen Karten hockte wie die Glucke auf ihren Eiern.
Ausschließlich seinen guten Verbindungen - Weih kannte als Hotelportier viele einflussreiche Leute - war es zu danken, dass er die Siege gegen Jugoslawien (2:0) und Schweden (4:2) im Düsseldorfer Rheinstadion live miterleben konnte. Das entscheidende Spiel gegen Polen aber fand in Frankfurt statt, und bis dorthin reichten Weihs Beziehungen nicht. Dort saß der DFB, den Weih in Presseartikeln mit geharnischten Worten angegriffen hatte.
Dennoch wartete der tapfere Bielefelder unverdrossen auf seine Chance. Vor der DFB-Zentrale an der Otto-Fleck-Schneise sprach er einen Polizisten an und forderte einen Gesprächstermin mit einem Fußballgewaltigen. Und tatsächlich: 20 Minuten später steuerte ein gewisser Horst R. Schmidt - mittlerweile längst zum DFB-Generalsekretär aufgestiegen - aus dem Flachbungalow direkt auf den Wartenden zu.
»Sie wünschen?« - »Ich hätte gerne eine Karte für das Spiel gegen Polen, sicherheitshalber eine für das Spiel um den 3. Platz und natürlich eine fürs Finale!« - »Da kann ja jeder kommen!« - »Ich bin aber nicht jeder!«
Womit Schmidt die Argumente (die er ohnehin nie gehabt hatte) endgültig ausgegangen waren. Im Allerheiligsten des deutschen Fußballs musste Werner Weih unterschreiben, dass er fortan nicht mehr in der Presse gegen den DFB wettern werde, dann endlich hielt er die Karten in Händen.
In der berühmten »Wasserschlacht« gegen Polen (1:0) wurde er nass bis auf die Haut und fuhr, statt zu feiern, stracks ins Hotel, um heiß zu duschen: »Ich durfte ja keinesfalls krank werden!« Und er wunderte sich über den 3. Platz der DDR (1:0 gegen Brasilien).
Dies bereits in München. »Da habe ich zum ersten Mal im Leben die Berge gesehen«, gesteht Werner Weih, dem Erkundungen des Umfelds mindestens ebenso wichtig sind wie das Geschehen auf dem Stadionrasen. Deshalb fuhr unser Beobachter von Land und Leuten mal kurz nach Garmisch und noch viel kürzer hinauf auf die Zugspitze. In kurzer Hose und Sandalen. »Den Schneesturm, der mich auf dem Gipfel überraschte, hatte niemand angekündigt . . .«
Bass erstaunt war Werner Weih auch, als er am 7. Juli zusammmen mit 77 832 weiteren Fans dem Münchener Olympiastadion entgegenstrebte: »Die Kassenhäuschen waren geöffnet - der DFB, der sich so lange geziert hatte, war gar nicht alle Karten losgeworden!«
Balsam auf die Wunden: Werner Weih hat die beiden Elfer auf Super-8 verewigt, den völlig unberechtigten gegen Vogts (gefoult hatte Hoeneß, und zwar außerhalb des Strafraums) und den, ähem, Kann-man-geben-Strafstoß nach Foul an Hölzenbein. »Vom holländischen Tor, in das Müller den Ball zum entscheidenden 2:1 stocherte, saß ich leider zu weit entfernt.«

Artikel vom 13.05.2006