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Der König von Torremolinos

Werner Weih krönt sich, schießt selbst ein Tor und begegnet Ali Baba

»Fast hätten wir das Spielfeld gestürmt und ihnen in den Hintern getreten.« Doch die deutsche und die österreichische Elf für ihren skandalösen Nichtangriffspakt bei der WM 1982 so bäurisch zu bestrafen, ist eines Königs nicht würdig - also verzichtete Seine Majestät Werner Weih auf Fußtritte.

Das Turnier in Spanien machte den mit einem halben Sportgerät und einer zerschnipselten Pappdose gekrönten Schlachtenbummler aus Bielefeld endgültig zu einer internationalen Zelebrität. Beim Schaufensterbummel durch La Isla (bei Gijon) entdeckte Werner Weih in einem Kramladen einen alten Ball, dem längst die Luft ausgegangen war. »Ich musste handeln wie ein Orientale, bis man mir das Ding zu einem akzeptablen Preis überließ.«
Nun wurde der Ball halbiert und saß wie angegossen auf dem Ostwestfalenschädel. »Auf dem Rückweg hab ich eine leere Waschmitteltrommel mitgenommen, aus der ich mit einer Nagelschere die Zacken einer Krone herausschnitt«, erzählt Weih in Erinnerung an endlose Bastelstunden im Hotelzimmer. Nun noch ein paar Lagen Goldfarbe aufgetragen, und jeder Monarch würde neidvoll erblassen.
Zum Abpfiff des letzten Vorrundenspiels gegen Österreich, nach dem Werner Weih und seine Reisegruppe die Qualifikation für die Zwischenrunde feiern wollten, hatte der Bielefelder eine Überraschung angekündigt. »Aber die Stimmung nach dem 1:0, das - auf Kosten Algeriens - beiden Teams weiterhalf, war so mies, dass ich die Krone zunächst gar nicht aufsetzen mochte.« Zum Glück ließ Weih sich umstimmen: »Das gab dann ein großes Hallo.«
Vier Wochen tourte Weih mit Gleichgesinnten durch Spanien und die Gruppe wurde gefeiert, als sei sie das Nationalteam. »Wir hatten unseren Bus in Schwarz-rot-gold, mit Fahne und mit allem Drum und Dran dekoriert - das sah ziemlich offiziell aus.«
Schon in La Isla, der ersten Station, freundeten sich die Deutschen mit einer Gruppe Chilenen an. Brisant, denn die Teams trafen in der Vorrunde aufeinander (4:1-Sieg). Auf einem Rasen vorm Hotel aber glichen die Chilenen aus: »Trotz eines Treffers von mir haben wir 4:5 verloren«, erinnert sich Weih. Danach verwöhnte man die neuen Freunde mit dem besten Bier der Welt, ach was, mit dem einzig trinkbaren: mit deutschem Gerstensaft.
Wer die südländische Mentalität kennt, ahnt, dass sich die Chilenen nicht würden lumpen lassen. »Das Hotel machte auf geheimnisvoll, aber ich hab mich rangeschlichen und gesehen, dass dort die ganz große Festtafel gedeckt wurde. Nun war guter Rat teuer: Wie sollten wir uns revanchieren?«
Am Ende sauste der gerade erst inthronisierte »König Fußball« per Taxi ins deutsche Quartier nach Gijon und leierte dem gewohnt knauserigen DFB (diesmal in Gestalt des legendär langweiligen Walter Baresel) die schönsten Devotionalien aus dem Kreuz. Das von den Chilenen finanzierte Festmahl wurde so doch noch zum Krönungsbankett.
Die Spiele hat Werner Weih nur schwach in Erinnerung. Bitte sehr: 0:0 gegen England, 2:1 gegen Spanien, dann das 8:7 gegen Frankreich - nach Elfmeterschießen, nach 1:3-Rückstand, nach Schumachers Foul an Battiston. Am Abend vorher, also am 7. Juli, »hatte ich angekündigt, dass ich, sollte Deutschland das Finale erreichen, hoch zu Ross durch Torremolinos reiten würde.« Klar: Daraus wurde ein Volksfest.
»König Fußball«, im bürgerlichen Leben Portier im »Bielefelder Hof«, nahm auf Schritt und Tritt die Huldigungen der Menschen entgegen. Anlässlich eines Abstechers ins nahe Marokko »stellte sich ein Fremdenführer als Ali Baba vor.« Die 40 Räuber hatten gerade Ausgang, keine Gefahr also, und der in Abdullah Weih umgetaufte Gast ließ sich zum Scheich ernennen und setzte sich einen Fez aufs Haupt.
So geriet die Copa Mundial zu einer einzigen Fete. Sector 327, Fila 4, Asiento 187. Das sind die wichtigen Zahlen des Finales in Madrid: Sie bezeichnen den Platz, auf dem Seine ostwestfälische Majestät geruhten, Platz zu nehmen. Das 1:3 gegen Italien? Pah!

Artikel vom 20.05.2006