25.03.2006
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Artikel vom 25.03.2006
Draußen zeigten sich die ersten Sterne, in deren orangepurpurnem Licht alle Dinge seltsam aufreizende Schatten warfen. Ich wandte den Blick zum Turm und hatte für einen Augenblick eine meiner Visionen - die von den herumtollenden Satyrn und dem Engel, der von der Spitze verstohlen nach unten schaut. Ich blinzelte, dann waren sie verschwunden. Was ich jetzt sah, war die entschieden unhalluzinatorische Gestalt von Mrs P, die von einem ihrer ziellosen Pilgergänge zurückkehrte, die sie so lieb gewonnen hatte. Für wen würde sie jetzt kochen? Ich nippte an meinem Gimlet. Und wer würde hier am Fenster stehen, hinausschauen und die Sterne zählenÉ?
Und dann ertönte die Glocke an der Haustür. Ich fuhr mir ein letztes Mal entschlossen durchs Haar, stürzte die Treppe hinunter, blieb auf halbem Weg stehen und verfolgte von dort, wie Mrs P aus dem Garten ins Haus und keuchend zur Tür eilte. Als sie öffnete und ein unvergleichliches Wesen ins Haus geleitete, umklammerte ich das GeländerÉ
S
W
»Ganz recht«, sagte ich verlegen und schwebte auf einer kleinen Wolke die restlichen Stufen hinunter.
»Irgendwie hab ich gewusst, dass du groß bist«, sagte sie und hob selbstbewusst den Kopf. »Ich habÕs einfach gewusst.«
»Danke«, sagte ich errötend. »Na ja, nicht direkt groß, sagen wir, ein gutes Stück über mittelgroßÉ«
»Schätze, ich habÕs mir gedacht, weil Bel so groß ist«, sagte sie nachdenklich. »Für ein Mädchen, meine ich.«
»Ja, ja«, sagte ich, ohne zuzuhören - denn schon jetzt war klar, dass Worte zwischen uns entbehrlich sein würden, dass sich ihre wahre Bestimmung in den schwungvollen Bewegungen ihrer Hände, im Leuchten ihrer Haut erweisen würde.
»Also, wo sind die Vasen?«, fragte sie.
»Hier entlang«, sagte ich, nahm sie bei der Hand und führte sie ungeduldig ins umgestaltete Speisezimmer. »Ich habe noch ein paar andere KleinigkeitenÉ«
»Wow!« Sie errötete, während sie die schimmernde Kollektion auf sich wirken ließ. »Willst du nur die Vasen versichern lassen, oderÉ?« Hoffnungsfrohe Gier klang aus ihrer Stimme.
»Nun ja, alles, denke ich«, sagte ich leichthin.
»Wow!«, sagte sie wieder.
»Ich habe mir schon gedacht, dass dir das gefallen würde«, plapperte ich drauflos. »Die meiste Zeit steckt das alles in Kartons. Ich wollte schon lange, dass da mal einer Ordnung reinbringtÉ«
»Eine Bestandsaufnahme«, sagte sie leise.
»Bestandsaufnahme, richtig«, wiederholte ich seufzend.
»Eine Schätzung.« Ihre lieblichen Augen schweiften umher, verweilten da und dort.
»Ja, genau.«
»Ich frage mich, wie hoch die Deckungssumme sein müsste É Das muss ja ein Vermögen wert sein.«
»Das überlasse ich ganz dir. Na ja, ist eigentlich bloß Tand, Krimskrams halt É Schließlich gibt es im Leben Wichtigeres als Geld.«
»So darf man das nicht sehen, Charles«, sagte sie streng, drehte sich um und schaute mich an. »Sicher, niemand denkt gern an Feuer oder Diebstahl, und trotzdem passiert es doch jeden Tag, oder? Du bist verantwortlich für deine Wertsachen. Wenn du dich nicht darum kümmerst, wer dann?«
»Stimmt schon«, sagte ich und schaute sie zärtlich an. »Da hast du absolut Recht.« Bei bestimmten Bewegungen, aus bestimmten Blickwinkeln war ihre physische Attraktivität einfach atemberaubend. Wenn ich sie anschaute, konnte ich fast vergessen, was mir bevorstand. Die anfängliche Desorientierung hatte sich gegeben; ich war froh, dass ich sie hier bei mir hatte, eine Komplizin für diese letzte, sinnestäuschende Nacht, ein Mensch, der mir helfen würde, diese schweren Augenblicke, diesen so leidvollen Verlust an Reichtum in ein privates Karussell aus Licht, Frohsinn und Vergnügen zu verwandeln. »Aber das hat noch Zeit. Warum setzen wir uns nicht erst mal, essen zu Abend und lernen uns kennen.« Ich ging zur Tür und dämpfte das Licht. »Ein Vertrauensverhältnis aufzubauen, einen rapport, ist wichtig bei solchen Dingen É Bitte, nimm doch Platz. Kann ich dir etwas zu trinken anbieten?«
»Ich weiß nicht, obÉ« Ihre Augen blitzten tückisch. »Also gut, hast du einen Le Piat dÕOr da?«
»Ich glaube, der ist uns gerade ausgegangen. Aber vielleicht möchtest du auch einen Gimlet? Wodka mit Limonensaft, sehr köstlich.« Ich klingelte, Zeit für die Entrées.Mrs P hatte sich selbst übertroffen. Das Essen war grandios, berauschend, eine Rhapsodie. Jeder Gang eine Verführung, jedes Aroma wie ein auf den Gaumen herabschwebender Schleier Salomes. Abgesehen von einer Auster, die ihr im Hals stecken blieb, schien Laura jedoch ungerührt. Sie aß mechanisch, ohne darauf zu achten, was vor ihr auf dem Teller lag.