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Im Sog von
Hass und Rache

Elektra kennt nur einen Lebenssinn

Von Burgit Hörttrich
Bielefeld (WB). Am Ende hat Elektra erreicht, was sie wollte. Und dennoch: Alles ist noch schlimmer geworden.

»Elektra«, die Tragödie des Euripides, hatte im Bielefelder Theater am Alten Markt (TAM) Premiere - das Publikum verfolgte die Geschichte, vorgetragen in kraftvoller antiker Sprache, in fast atemloser Spannung, die sich dann in begeistertem Applaus für die Leistung der Schauspieler entlud.
Elektra kann nicht anders. Der Gedanke an Rache hat ihr Leben bestimmt, seit ihre Mutter Klytaimestra ihren Vater Agamemnon, den heldenhaften Feldherrn, im Bade umgebracht hat, seit ihr Bruder Orest in der Verbannung lebt, sie einen einfachen Bauern heiraten musste, der sie jedoch nie angerührt hat. Elektra will den Tod Klytaimestras und den ihres Liebhabers Aigisthos. Apollons Orakel hat Orest angewiesen, den Vatermord zu rächen, in Elektras Gedankenwelt ist der Bruder der strahlende Held, der sich niemals heimlich ins Land schleichen würde. Deshalb will sie ihn auch zunächst nicht erkennen. Nach dem Tod des verhassten Aigisthos kommen Orest Zweifel an der Berechtigung der Tat - Elektra aber will nichts hören von Motiven der Mutter. Sie will deren Tod. Und ist in ihrer Gnadenlosigkeit, so meint jedenfalls Regisseur Patrick Schimanski, den Selbstmordattentätern von heute ähnlich.
Euripides rückt den für Orest nicht lösbaren Konflikt zwischen göttlichem Racheauftrag und Zweifel an der Berechtigung der Tat ins Zentrum und stellt damit den Glauben an Gerechtigkeit und Weisheit der Götter in Frage. Zumal am Ende heraus kommt, dass die Götter zu ihrem Vergnügen ohnedies nur mit den Menschen gespielt haben.
Im Bühnenbild von Colin Walker, der einen »Hausrahmen« schuf, der, je nach Position, auch jede andere Örtlichkeit skizzieren konnte, brillierte Ulrike Müller als verbohrte rachsüchtige Elektra, Oliver Baierl als Orest gibt den - arroganten - Zweifler, Andreas Hilscher als Pylades hat nicht viel zu sagen, Harald Gieche ist der Landmann und der Greis, der die Geschwister genau so zur Erfüllung des Orakels treibt wie Nicole Paul als Chorführerin. Therese Berger spielt Klytaimestra, die sich zu gern mit der Tochter aussöhnen würde, Stefan Hufschmidt ist der Bote, der mit der niederschmetternden Nachricht kommt, dass zwar die Tötung Klytaimestras, nicht aber der Muttermord an sich recht gewesen sei.
Regisseur Schimanski zeichnet Menschen, die unter einem Tyrannen in Angst leben. Im Versuch, den Bogen zum Heute zu schlagen, scheut er von Anklängen an Abu Ghuraib nicht zurück. Seine Musik sorgt zudem für ein Flirren der Atmosphäre, für einen Sog hinein in eine 2500 Jahre alte Geschichte. Chorführerin, Bote und Pylades gelingt es immer wieder, durch kleine (heutige) Gesten und Sätze, für Brüche im sonst fast unerträglichen Spannungsbogen zu sorgen.

Artikel vom 27.02.2006