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Der König ist ein »Arbeiter«

Der dreifache Sieger Michael Greis: mit viel Fleiß zum goldenen Preis

Turin (dpa). Angereist war er als aussichtsreicher Außenseiter, als »Biathlon-König von Turin« verlässt Michael Greis die Olympia-Stadt. Sein Blick ging zurück: »Ich wollte zwei Medaillen gewinnen, eine mit der Staffel und eine in einem Einzelrennen. Das war realistisch«, erinnerte er an seine Ziele vor den Rennen von San Sicario.

»Und nun das. Früher habe ich vor dem Fernseher verfolgt, wer der Erfolgreichste der Spiele war. Daran zu denken, dass ich es mal werden könnte, war für mich Utopie«, sagte der 29 Jahre alte Bundeswehr-Oberfeldwebel, der als erster deutscher Wintersportler drei Goldmedaillen bei einer einzigen Olympia-Teilnahme gewann. »Ich bin fassungslos, aber es ist schön«, ergänzte er nach dem »schönsten Tag seines sportlichen Lebens« und widmete den Sieg seiner Freundin Katja.
Der Allgäuer zählt zu den Spätberufenen im deutschen Team. Zunächst stand er nur auf Alpinski. Mit elf Jahren wechselte »Michi« zu den Nesselwanger Langläufern. Eine Saison später versuchte er sich im Biathlon. Die großen Erfolge blieben aber lange aus. Für Junioren-Weltmeisterschaften konnte er sich im Gegensatz zu seinen heutigen Mannschaft-Kollegen nie qualifizieren.
1996 wurde er von Stützpunkttrainer Fritz Fischer zum Wechsel nach Ruhpolding überredet, als Greis bereits an das Ende seiner Laufbahn dachte. »Von da an ging's bergauf. Ergebnis unserer systematischen Arbeit in der tollen Trainingsgruppe mit Ricco Groß und Andi Birnbacher«, sagte er zu seiner Entwicklung.
Bereits vor vier Jahren qualifizierte sich Greis für die Winterspiele in Salt Lake City. Als 15. im Sprint und 16. beim Verfolgungsrennen war er aber nur Zuschauer bei den Siegerehrungen. Den Sprung in die Weltelite schaffte er vor zwei Jahren. Als Schlussläufer führte Greis bei der Heim-WM in Oberhof das deutsche Staffel-Quartett zum Titelgewinn.
Im Vorjahr gelang ihm beim Olympia-Test in San Sicario der erste Weltcupsieg. »Dieser Erfolg hat mir das nötige Selbstvertrauen gegeben, dass ich alle besiegen kann. Auf der anderen Seite kamen aber auch Zweifel, weil die Gewinner der Testrennen in den seltensten Fällen dann auch bei den Spielen erfolgreich waren«, beschrieb er seine damaligen zwiespältigen Gefühle.
Der eher ruhige, aber fast immer gut gelaunte neue »Biathlon-König« ist ein akribischer, Detail verliebter Arbeiter. Vor dem ersten Wettkampf in San Sicario hatte er zwei Stunden am Gewehr gebastelt, den Schaft modifiziert, »um ein besseres Gefühl für die Waffe zu bekommen«. Bundestrainer Frank Ullrich schätzt am erfolgreichsten deutschen Olympia-Teilnehmer »die ständige Suche nach Verbesserungen und das Hören auf den Körper«.
Für die ganz große Party war Greis am Samstagabend aber zu müde. »Die richtigen Feten steigen ab Montag zu Hause«, meinte er nach ein paar Bierchen mit seinem Vater, der ein Bestattungs-Unternehmen besitzt. Bestimmt dann auch im Kreis des von Schwester Isabel gegründeten Fanclubs, der mit dem Nesselwanger Bürgermeister extra für das Rennen am Samstag mit einem Bus angereist war und ihn vor der Kirche von San Sicario bereits gebührend gefeiert hat.
Seine Pläne für den Sommerurlaub will Greis, jetzt schon ein heißer Anwärter auf den Titel »Sportler des Jahres«, trotz der 100 000 Euro Olympia-Prämie nicht ändern. Als Rucksacktourist möchte er mit seiner Freundin Indien bereisen.

Artikel vom 27.02.2006