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Guten Tag«, sagte er freundlich, als er sicher war, dass ich die Untersuchung des Delphinbilds abgeschlossen hatte.
»Ah, hallo«, antwortete ich in humorig aufgekratztem Tonfall, als wollte ich eigentlich ganz woanders hin und hätte nur mal eben hereingeschaut.
»Wie kann ich Ihnen behilflich sein?«, erkundigte er sich. Er war ein unscheinbarer Bursche mit einem gütigen rundlichen Gesicht und einem schmalen Strich als Mund.
»Nur eine Kleinigkeit«, sagte ich aufgeräumt und wedelte mit ein paar rot abgestempelten Umschlägen. »Nur ein paar letzte Mahnungen, die sicher irrtümlich an uns gegangen sind.«
»Ah ja«, sagte er. »Dürfte ich vielleicht einen BlickÉ«
»Gern«, sagte ich. »Hier.«
»Aber setzen Sie sich doch, MrÉ?«
»Hythloday - Charles Hythloday«, sagte ich. »Danke.«

E
r schaute sich ausdruckslos die Briefe an, während ich, passend zu der entspannten, aber respektvollen Beziehung, die wir inzwischen aufgebaut hatten, etwas flötete und dabei versuchte ihn mir vorzustellen, wenn er nicht hinter seinem Schreibtisch saß- gröhlend bei einem Motorbootrennen oder stirnrunzelnd vor einem Glas Gewürzgurken im Supermarkt. Er rollte mit seinem Stuhl vor den Computer und begann zu tippen. Er tippte volle drei Minuten. »Oh«, sagte er einmal und zuckte kurz vor dem Schirm zurück. Ich lehnte mich beiläufig zur Seite, konnte aber nicht sehen, was er sah. Nervös flötete ich weiter.
»Nun ja, Charles«, sagte er schließlich. »Hier steht, dass seit über sechs Monaten keine Hypothekenzahlungen mehr bei uns eingegangen sind.«
»Ja, das stimmt«, sagte ich in geschäftsmäßigem Tonfall, der meine Antwort vielleicht als Erklärung durchgehen lassen würde.
»Es sieht ganz so aus, als hätten wir schon länger versucht, mit Ihnen in Kontakt zu treten«, fuhr er fort, ohne den Blick vom Schirm abzuwenden. »Haben Sie unsere Briefe bezüglich rechtlicher Schritte nicht erhalten?«
Er bemühte sich weiter um einen freundlichen Ton, aber ich spürte, dass er gekränkt war - als hätte ich ihn absichtlich in die Irre geführt. Ich erläuterte ihm, dass die Briefe fälschlicherweise in der Küchenschublade abgelegt worden seien, was ihn aber auch nicht sonderlich zu beeindrucken schien.
»Die Küchenschublade«, sagte er zu sich selbst und mühte sich, die Worte zu verstehen.
»Also, da ist alles Mögliche drin«, präzisierte ich meine Erläuterung. »Reißnägel, Tesafilm, so was halt.«
»Sicher«, sagte er, verschränkte die Hände auf seiner Schädeldecke und lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. Ich kam mir ziemlich minderbemittelt vor. »Das kann natürlich jedem passieren, Charles. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass wir hier ein kleines Problem haben.«
»Ach ja?«
»Ja. Außer natürlich, Sie sagenmir jetzt, dass Sie in Ihrer Brieftasche folgende Summe bei sich tragen.« Mit einem spaßigen Lacher nannte er die Summe. »Ha, ha.« Aber seine Augen flehten mich an, ich solle ihm wenigstens etwas anbieten, ich solle nicht wegen einer so öden, profanen Schuld unsere so prächtig knospende Freundschaft aufgeben. Mein Mut sank noch etwas tiefer. Zufälligerweise ähnelte die von ihm genannte Ziffer der Summe, die ich diesen Frühling, als ich mit Pongo, Patsy und Hoyland Maffey einen Tag auf irgendeiner Yacht weilte, beim Bakkarat verloren hatte. Wie unwesentlich sie mir damals in der siedenden Atmosphäre unter Deck erschienen war. Damals schien es nebensächlich zu sein, ob ich gewann oder verlor, nach zu vielen Kahluas und mit Patsy am Arm - das heißt, wenn sie nicht gerade draußen war und mit Hoyland irgendein kindisches Versteckspiel spielte; sie klammerte sich an meinen Ellbogen und lachte und feuerte mich an, während kleine Perlenohrringe schimmernd unter ihrem ebenholzschwarzen Bubikopf hervorlugten; im Licht, das durch das Panoramafenster hereinflutete, sahen die Karten alle gleich aus, sie lächelten mich an, und der Croupier harkte wieder einen Stapel Chips vom TischÉ
»Es muss doch irgendwas geben, das wir tun können«, sagte ich.
Der Bankangestellte kaute pessimistisch an seinem Kugelschreiber. »Ich weiß nicht was, Charles«, sagte er. »Wirklich nicht.«
»Die Familie hat Vermögen, ich meine, es ist nicht so, dass wir unsere letzten Pennys zusammenkratzen müssen. Könnten wir diese vorübergehende Geschichte nicht mit einem É einem Darlehen oder einem Zahlungsaufschub oder so regeln? Wenigstens so lange, bis ich mit dem Steuerberater meines Vaters gesprochen habe, und der kann dann ja die nötige Summe von unseren Anteilen abzweigenÉ«
Der Bankangestellte schaute mich mit einem schmalen gequälten Lächeln an. Er wusste, dass ich keine Ahnung hatte, wovon ich sprach. »Charles«, sagte er. »Das ist ja alles gut und schön, ich würde das liebend gern für Sie arrangieren. Und wenn ich persönlich zu entscheiden hätte, Charles, ja, Sie haben Recht, genau das würde ich tun, einen Zahlungsaufschub vereinbaren. Aber sehen Sie, ich muss auch die Interessen der Bank im Auge behalten.« Er schaute mir ernst in die Augen und hoffte, ich würde das verstehen. »Die Schuld ist jetzt schon so alt, und die Summe ist so groß - ich persönlich glaube Ihnen ja, dass Sie das schaffen, aber die Zahlen É die Zahlen sprechen dagegen. Ich werde mich gern um die Angelegenheit kümmern, Charles, aber ich muss sicherstellen, dass dabei auch die Bank auf ihre Kosten kommt.«

I
ch schluckte und schaute ihn hilflos an. Traute er mir nicht? Hielt er uns für eine hinterhältige Horde von Hochstaplern, die versuchen würde, die Gutherzigkeit seiner Bank auszunutzen? In einem lächerlich winzigen Spiegel, der neben der Plastiktopfpflanze hing, sah ich zwei ringende Hände und fragte mich verwundert, wem die gehörten und was die da machten.
»Die Sache ist die, Charles É die Hypothek, so wie ich das hier sehe, kommt mir etwas unregelmäßig vor. Das ist es, was mir Sorgen macht.« Der Kugelschreiber landete wieder in seinem Mund.
»Ach ja?«, sagte ich und fuhr mir beunruhigt über die Stirn.
»Ja. Normalerweise, Charles, läuft das bei einer Hypothek so: Wenn der Hypothekennehmer stirbt - Mr Ralph Hythloday, das war Ihr Vater, nehme ich an?«
Ich nickte.
»Das tut mir Leid«, sagte der Bankangestellte leise.
»Danke«, sagte ich. Es folgte ein Augenblick stummer Andacht.
»Also«, fuhr er fort. »Normalerweise werden beim Tod des Hypothekennehmers die ausstehenden Forderungen gegen die Lebensversicherung des Verstorbenen aufgerechnet. Aus irgendeinem Grund ist das im Fall Ihres Vaters nicht geschehen.«
»Nicht?« Die Atmosphäre war unerträglich gespannt. Ich warf einen flehenden Blick hinauf zum Ventilator.
»Nein É Und wenn ich ein bisschen weiter zurückgehe, tja, die Struktur des Darlehens ist ziemlich É nun ja, ich habe Vergleichbares noch nie gesehen. Die Überweisungen laufen höchst unregelmäßig ein. Sie kommen praktisch immer von einem anderen Ort. HierÉ« Er drehte den Schirm zu mir. »Das sind jetzt nur die letzten vier Jahre. Anstatt uns einfach per Lastschrift die Raten abbuchen zu lassen, ist das Geld mal von dieser Gesellschaft, dann wieder von einer anderen überwiesen worden. Dann ein paar Monate gar nichts, und dann dieser Riesenbatzen von einer Bank, die mir, ehrlich gesagt, vollkommen unbekannt ist. Können Sie mit einem dieser Namen etwas anfangen?«
»Kapitalgesellschaften?«, krächzte ich schwach. Mir war schwindelig, die auf dem Bildschirm auf und ab tänzelnden Ziffern sagten mir rein gar nichts. Warum ließ er mich nicht einfach gehen?
»Keine Ahnung, wer sich das ausgedacht hat, aber es ist höchst ungewöhnlich«, sagte er. »Höchst ungewöhnlich.«
»Und was soll ich jetzt tun?«, sagte ich wie im Fieber. Ich wollte einfach, dass das ein Ende hatte. »Sie sagen, ein Darlehen können Sie mir nicht geben und mehr Zeit auch nicht.«

E
r schaute mich mit bekümmertem, stoischem Gesichtsausdruck an. »Mir sind die Hände gebunden, Charles«, sagte er. »Wenn Sie den Steuerberater Ihrer Familie ausfindig machen könnten, und wenn der aus dem Gebilde hier schlau wird, dann könnten wir vielleicht eine Lösung finden. Aber so wie es jetzt aussieht, werden die Forderungen eingezogen werden.«
»Was heißt, dass das Haus in den Besitz der Bank übergeht.«
»Das ist die übliche Vorgehensweise, ja.« Grübelnd, die Fingerspitzen aneinander gelegt, saß er da.
»Ich verstehe.« Das warÕs. Ich griff hinter mich, nahm meine Jacke und stand auf. »Also dann.« Als sei eigentlich nichts von all dem von Bedeutung, verfiel ich wieder in den aufgeräumten Tonfall vom Anfang.
»Ja.« Der Bankangestellte tat es mir gleich. »Und vielen Dank, dass Sie vorbeigeschaut haben.« Er beugte sich über den Schreibtisch, um mir die Hand zu schütteln.
»Ich danke Ihnen«, sagte ich, ohne recht zu wissen, warum, und wandte mich zur Tür.
»Ach, Charles?«
»Ja?«
»Ich hab da noch was für Sie.« Er nahm etwas aus einer Schublade und hielt es mir hin.
»Danke«, sagte ich und nahm es. Es war ein Schlüsselring. Auf einer Seite des Plastikanhängers prangte das Logo der Irelandbank, auf der anderen der Spruch »Wir sind immer für Sie da«. (wird fortgesetzt)

Artikel vom 17.03.2006