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Experten rätseln über Herkunft
der Vogelgrippe auf Rügen

War Nahrungsmangel die Ursache für den Tod der Höckerschwäne?

Greifswald (dpa). Der Infektionsweg der Vogelgrippe nach Deutschland gibt Rätsel auf. Experten schließen nicht aus, dass das gefährliche Virus H5N1 schon seit Monaten unentdeckt im Land ist.
Veterinäre in Schutzkleidung tragen gestern unweit des Wittower Fähranlegers auf Rügen einen toten Schwan in einem Plastiksack. Bei zwei toten Tieren wurde der Virustyp H5N1 nachgewiesen. Foto: Reuters
Unklar ist, wann und wie sich die auf der Insel Rügen gefundenen Schwäne angesteckt haben. »Dieses aktuelle Phänomen ist nicht zu erklären, denn es hat offensichtlich nichts mit dem Vogelzug zu tun«, sagte der Leiter des Wilhelmshavener Institut für Vogelforschung, Franz Bairlein, gestern.
Bei den auf Rügen verendeten Vögeln handelt es sich nach Angaben des Friedrich-Loeffler-Instituts für Tiergesundheit um Höckerschwäne. »Diese Art ist ein Standortvogel, der immer hier ist«, sagte die Sprecherin des Instituts auf der Insel Riems, Elke Reinking. »Uns beschäftigt jetzt die Frage, wo kommt das Virus her?«
Die Schwäne könnten sich bei Wildenten angesteckt haben. Diese könnten sich schon im vergangenen Jahr bei Zugvögeln mit dem auch für Menschen gefährlichen Virus infiziert haben. »Dann kam das Virus bis jetzt unentdeckt in der Wildvogelpopulation vor«, sagte Reinking. Die Krankheit könnte jetzt durch Stress wegen Nahrungsmangels ausgebrochen sein.
Auch Vogelforscher Bairlein hält es für möglich, dass die Tiere verhungert oder Opfer des strengen Winters wurden und gleichzeitig auch Grippeviren in sich trugen. Unklar sei jedoch, wieso möglicherweise schon länger vorhandene Viren nicht schon im vergangenen Herbst entdeckt wurden. Damals seien tausende Vögel in Europa untersucht worden. »Damals war H5N1 nicht dabei, und jetzt ist es da. Dies ist ausgesprochen eigenartig. Dafür haben wir kein Erklärungsszenario.«
»Derzeit fliegt kein einziger Schwan aus irgendeinem Vogelgrippe-Gebiet nach Rügen und verhungert dort. So einen kuriosen Einzelflieger gibt es nicht«, schloss Bairlein einen Zusammenhang mit Zugvögeln als Infektionsquelle aus. Die in Deutschland verbreiteten Höckerschwäne seien als Parkschwäne weitgehend sesshaft. »Nur die Sing- und Zwergschwäne sind arktische Zugvögel und überwintern hier.« In der Arktis sei das Virus aber nicht nachgewiesen.
»Die Höckerschwäne können aber auch aus Osteuropa gekommen sein«, mutmaßte Reinking. Sie könnten vor der Kälte in Russland geflohen sein. »Wir wissen nicht, wie weit sie fliegen können. Mehrere hundert Kilometer können es aber sein.«
Bairlein erwartet, dass die Veterinärämter in den kommenden Tagen viele tote Vögel untersuchen müssen. »Wenn jetzt irgendwo eine tote Ente gefunden wird, wird sie gemeldet. Und wenn wir sie schon haben, sollten wir sie auch untersuchen.« Wenn dabei auch Grippeviren gefunden werden, erlaube dies jedoch noch keinen Rückschluss auf die Vogelgrippe als Todesursache, warnte Bairlein.
Von den toten Vögeln geht Reinking zufolge keine Gefahr für den Menschen aus. »Absperrungen sind nicht notwendig«, meinte sie. Nach Angaben von Institutspräsident Thomas Mettenleiter hat es bei den weltweit bekannten Infektionsfällen von Menschen stets einen direkten Kontakt zu Nutzgeflügel gegeben.

Artikel vom 16.02.2006