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Dr. Sabine Klewe-Niemann leitet das Gesundheitsamt in Minden.

Vogelgrippe-Epedemie in
Deutschland unwahrscheinlich

Gesundheitsamtsleiterin: Ansteckungsgefahr für Menschen bleibt gering

Minden (WB). Erste Vogelgrippe-Fälle bei Tieren in EU-Ländern, erneute Stallpflicht für Geflügel in Deutschland: »Die Einschätzung der aktuellen Gefährdungslage für die Bevölkerung ist verwirrend«, sagt die Leiterin des Gesundheitsamtes Minden-Lübbecke, Dr. Sabine Klewe-Niemann. Sie hat deshalb die wichtigsten Fakten zusammengestellt:

Die Vogelgrippe (Geflügelpest, aviäre Influenza) ist nach wie vor eine Tierseuche. Das Vogelgrippevirus ist hoch infektiös für Geflügel, aber extrem niedrig infektiös für Menschen. Menschen werden, wenn überhaupt, nur durch engen Kontakt mit infiziertem Geflügel angesteckt. Was ein enger Kontakt ist, sieht man an den Fernsehbildern aus Ostasien oder zuletzt aus der Türkei: Zusammenleben mit Geflügel auf engstem Raum, erkrankte oder verendete Tiere werden ohne Schutz angefasst, Kinder spielen mit den Köpfen verendeter Hühner. Selbst wenn es in Deutschland die Vogelgrippe gäbe (was zur Zeit nicht der Fall ist!), sind solche Zustände hier nicht vorstellbar, und das Infektionsrisiko bliebe deshalb gering
Auch unter den geschilderten Bedingungen in Asien und der Türkei haben sich seit 2003 nur etwa 150 Menschen infiziert - bei millionenfachen Kontakten. Für Deutschland bedeutet das, dass wir es bei fraglich erkrankten Personen vermutlich allenfalls mit Verdachtsfällen, die abgeklärt werden müssen oder - noch wahrscheinlicher - mit Scheinverdachtsfällen zu tun haben werden. Die kürzlich berichteten Verdachtsfälle aus Belgien und Köln gehören in die letztere Gruppe, weil die Falldefinition der Weltgesundheitsorganisation für einen Verdachtsfall Vogelgrippe gar nicht erfüllt war. Dazu gehört nämlich der Aufenthalt in einem von der Vogelgrippe betroffenen Gebiet und zum Beispiel direkter Kontakt mit Tieren. Ein »echter« Verdachtsfall im Sinne der Falldefinition und auch eine Vogelgrippeinfektion eines Menschen könnte in den Krankenhäusern abgeklärt und behandelt werden und würden kein Problem darstellen. Bei der Behandlung könnten unter anderem auch antivirale Medikamente wie Tamiflu oder Relenza eingesetzt werden und zwar in den handelsüblichen Formen, die in den Apotheken erhältlich sind.
Bis heute gibt es keine Übertragung der Vogelgrippe von Mensch zu Mensch, das heißt eine Vogelgrippeinfektion beim Menschen ist in Bezug auf die Gefährdung anderer Menschen weniger gefährlich als das jährlich auftretende humane Grippevirus, das sich bekanntermaßen unter Menschen recht schnell verbreitet.
Im Zusammenhang mit der Vogelgrippe geht die Befürchtung der Wissenschaftler dahin, dass sich aus dem Vogelgrippevirus durch Veränderung (Mutation) und insbesondere durch Erbgutaustausch mit dem menschlichen Grippevirus ein Pandemievirus entwickeln könnte. Dieses Virus wäre von Mensch zu Mensch mit hoher Aggressivität übertragbar, das heißt es könnte sich weltweit ausbreiten und eine Pandemie auslösen.
Ein Pandemievirus existiert aber bisher nicht und es ist völlig offen, wann und ob überhaupt es entstehen wird. Je mehr Vogelgrippeviren vorhanden sind und je mehr menschliche Infektionen es durch dieses Virus gibt, desto größer wird allerdings die Chance für das Entstehen eines Pandemievirus. In diesem Zusammenhang ist die Vogelgrippe möglicherweise eine Gefahr auch für die Menschen weltweit.
Eine Influenzapandemie würde in mehreren Wellen um den Globus laufen und nicht nur viele Krankheitsfälle, sondern auch eine große Zahl von Todesfällen verursachen. Eine Vorsorgeplanung zur Verminderung der Auswirkungen ist deshalb besonders wichtig.
Für die Bundesrepublik Deutschland gibt es seit dem Frühjahr 2005 den Nationalen Influenzapandemieplan, der Regelungen für das Zusammenwirken von Bund, Ländern und Kommunen enthält und die Entwicklung von Maßnahmeplänen beschreibt. Zur Vorbeugung und Behandlung sind ein Impfstoff und antivirale Medikamente wichtig.
Da ein Pandemievirus nicht existiert, kann dagegen auch noch kein Impfstoff entwickelt werden. Man kann sich derzeit deshalb nicht gegen eine Influenzapandemie impfen lassen. Die Entwicklung eines Impfstoffes dauert vier bis sechs Monate, so dass bei der ersten Pandemiewelle nur antivirale Medikamente (Tamiflu, Relenza) zum Einsatz kommen können. Dazu haben die Länder Vorräte gekauft bzw. geordert, das Land NRW für 30 Prozent der Bevölkerung, was die Versorgung sichern würde.
Auch für die Verteilung im Pandemiefall gibt es auf Landesebene in NRW bereits Vorstellungen: sie soll über die Apotheken erfolgen.

Artikel vom 15.02.2006