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Israel bangt um Scharon

Schwerer Schlaganfall - Sorge um politische Lage im Nahen Osten

Jerusalem (dpa). Nach dem schweren Schlaganfall des israelischen Ministerpräsidenten Ariel Scharon äußerten politische Verbündete und Gegner des 77-Jährigen gestern große Sorge über die politische Lage in Nahost. Aus aller Welt trafen Genesungswünsche ein. Ariel Scharon ringt nach einem Schlaganfall mit dem Tode.

In der arabischen Welt wurde die Nachricht mit gemischten Gefühle aufgenommen, bei radikalen Palästinensern sogar mit unverhohlener Freude.
Ärzte kämpfen gestern in einem Krankenhaus in Jerusalem nach zwei Notoperationen um das Leben Scharons, der in der Nacht wegen Hirnblutungen bewusstlos in das Hospital gebracht worden war. Mediziner beschrieben seinen Zustand »als sehr ernst, aber stabil«. Drei Monate vor der geplanten Neuwahl des Parlamentes erklärten Experten, die Chancen auf eine Genesung ohne Hirnschaden seien nach dem schweren Schlaganfall »fast gleich null«. Noch in der Nacht waren die Amtsgeschäfte auf den stellvertretenden Ministerpräsidenten Ehud Olmert (60) übertragen worden.
Der palästinensische Regierungschef Ahmed Kureia wünschte Scharon rasche Besserung. Wenn Scharon sich aus der Politik verabschiede, werde das Auswirkungen »nicht nur auf Israel, sondern auf die ganze Region haben«, warnte Kureia in Ramallah.
»Wir beten für seine Genesung«, sagte US-Präsident George W. Bush. »Ministerpräsident Scharon ist ein Mann der Zivilcourage und des Friedens.«
Eine Sprecherin der EU-Kommission äußerte sich in Brüssel sehr besorgt. »Das ist eine sehr beunruhigende Lage.« Italiens Ministerpräsident Silvio Berlusconi sagte, auf politischer Ebene zeichne sich in Israel eine schwierige Zukunft ab. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel, die ursprünglich noch in diesem Monat nach Israel reisen wollte, wünschte Scharon »von ganzem Herzen baldige Genesung«.
Die schwere Erkrankung Scharons wird nach Ansicht der palästinensischen Autonomiebehörde keine unmittelbaren Auswirkungen auf das palästinensisch-israelische Verhältnis haben. Vor der Parlamentswahl in Israel erwarte er keinen Politikwechsel, sagte Informationsminister Nabil Schaath.
Der Sprecher der radikalen Volksfront für die Befreiung Palästinas (PFLP), Maher al-Taher, erklärte gestern in Damaskus, im Friedensprozess sei derzeit ohnehin kein Fortschritt zu erwarten, »weder mit Scharon noch ohne ihn«. Ahmed Dschibril, der die in Damaskus ansässige radikale Splittergruppe PFLP-Generalkommando leitet, sagte zu Scharons Ringen mit dem Tod: »Wir danken Gott für dieses Geschenk, das er uns zum Jahresbeginn beschert hat.«
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Artikel vom 06.01.2006