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Danach ging es bergab. Mein Schatz betrog mich. Während ich mir Séraphin Ticos schwachsinnigen Humor reinziehen mußte, hat er sich die Erstsemester reingezogen, und als wir uns wieder vertrugen, hat er mir gestanden, daß er Drogen nimmt, ja, nur so halt. WeilÕs chic ist. Und darüber will ich lieber gar nicht reden.«
»Warum nicht?«
»Weil es zu traurig war. Wie schnell dich dieses Mistzeug in die Knie zwingt, das ist erschreckend. WeilÕs chic ist, von wegen, ich habe noch ein paar Monate durchgehalten, dann bin ich wieder bei meiner Mutter eingezogen. Sie hatte mich fast drei Jahre nicht gesehen, sie hat die Tür aufgemacht und gesagt: ÝNur daß duÕs weißt, ich hab nichts zu essen im Haus.Ü Ich bin in Tränen ausgebrochen und habe zwei Monate lang das Bett nicht verlassen. Zu dem Zeitpunkt war sie ausnahmsweise mal clean. Sie war die richtige, um mich da rauszuholen, wirst du sagen. Und als ich das erste Mal aufstand, bin ich wieder arbeiten gegangen. Damals habe ich mich nur von Brei und kleinen Gläschen ernährt. Doktor Freud läßt grüßen! Nach dem CinemaScope Dolby Stereo, mit Ton, Licht und Emotionen aller Art gab es wieder ein Leben in Schwarzweiß und Kleinformat. Ich habe ferngesehen, und an den Quais wurde mir immer schwindlig.«
»Hast du daran gedacht...?«
»Ja. Ich habe mir vorgestellt, wie mein Geist zu den Klängen von Tornami a vagheggiar, Te solo vuol amar... zum Himmel auffährt... und mein Vater mich lachend mit ausgebreiteten Armen empfängt: ÝAh! Da sind Sie ja endlich, Mademoiselle! Sie werden sehen, hier ist es noch schöner als an der Riviera.Ü«
Sie weinte.
»Nein, nicht weinen...«
»Doch. Mir ist danach.«
»Gut, dann wein halt.«
»Du bist nicht so kompliziert, das ist gut...«
»Stimmt. Ich hab zwar viele Macken, aber kompliziert bin ich nicht. Sollen wir aufhören?«
»Nein.«
»Willst du was trinken? Eine heiße Milch mit Orangenblüten, wie Paulette sie mir immer gemacht hat?«
»Nein, danke. Wo war ich stehengeblieben?«
»Schwindelgefühle.«
»Ja, Schwindelgefühle. Ehrlich gesagt hätte man mir nur auf den Rücken schnipsen müssen, und ich wäre umgefallen, aber statt dessen trug der Zufall schwarze Handschuhe aus zartem Ziegenleder und klopfte mir eines Morgens auf die Schulter. An diesem Tag vertrieb ich mir die Zeit mit Watteaus Figuren und saß vornübergebeugt auf einem Stuhl, als ein Mann hinter mir vorbeiging. Ich sah ihn oft. Er scharwenzelte immer um Studenten herum und betrachtete heimlich ihre Zeichnungen. Ich hielt ihn für einen Aufreißer, wobei mir seine sexuellen Neigungen unklar waren. Ich sah ihn mit der Jugend schäkern, die sich geschmeichelt fühlte, und bewunderte sein Gebaren. Er trug immer herrliche Mäntel, sehr lang, maßgeschneiderte Anzüge, Seidentücher und Seidenschals. Ich hatte gerade meine kleine Pause, saß deshalb über mein Heft gebeugt und sah nur seine wunderschönen Schuhe, sehr elegant und blitzblank. ÝDarf iesch Ihnen eine persönliche Frage stellen, Mademoiselle? Aben Sie eiserne Moralvorstellungen?Ü Ich fragte mich natürlich, wohin er wollte. Ins Hotel? Aber gut. Hatte ich eiserne Moralvorstellungen? Ich, die ich Séraphin Tico bestach und davon träumte, das Werk Gottes zunichte zu machen? ÝNeinÜ, antwortete ich, und dank dieser kleinen anmaßenden Erwiderung bin ich in den nächsten Schlamassel geschlittert... ein exorbitanter diesmal...«
»Was für einer?«
»Ein unsäglicher Schlamassel.«
»Was hast du gemacht?«
»Das gleiche wie vorher. Aber statt in einem besetzten Haus zu wohnen und die Dienstmagd eines Tobsüchtigen zu sein, wurde ich die eines Betrügers.«
»Hast du... hast du dich...«
»Prostituiert? Nein. Obwohl...«
»Was hast du gemacht?«
»Fälschungen.«
»Geld?«
»Nein, Bilder. Und das Schlimmste, es hat mir sogar Spaß gemacht! Am Anfang jedenfalls. Später grenzte dieser Spaß an Sklaverei, aber am Anfang war es total witzig. Wo ich einmal zu was nütze war! Ich sag dir, ich hab in einem unglaublichen Luxus gelebt. Nichts war zu schön für mich. Mir war kalt? Er schenkte mir die besten Kaschmirpullis. Du weißt doch, der dicke blaue Pullover mit der Kapuze, den ich ständig anhabe?«
»Jaa.«
»Elftausend Franc.«
»Neeee!«
»Dooooch. Und ich hatte gut ein Dutzend davon. Ich hatte Hunger? Pling pling, Room Service und Hummer in rauhen Mengen. Ich hatte Durst? Ma qué, Champagne! Ich langweilte mich? Theater, Shopping, Musik! ÝWas iemmer du wiellst, sag es deinem Vittorio. Wenn du gehst, biest du den Job los.Ü Nur, warum sollte ich gehen? Ich wurde gehätschelt, ich hatte meinen Spaß, ich tat, was mir gefiel, ich ging in alle Museen, von denen ich geträumt hatte, ich lernte Leute kennen, nachts irrte ich mich im Zimmer. Ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube, ich habe sogar mit Jeremy Irons geschlafen.«
»Wer ist das denn?«
»Mensch, du bist aber auch ein hoffnungsloser Fall. Na gut, egal. Ich las, ich hörte Musik, ich verdiente Geld. Im nachhinein betrachtet war es eine andere Form von Selbstmord. Bequemer. Ich war vom Leben und den wenigen Leuten, die mich mochten, abgeschnitten. Von Pierre und Mathilde Kessler vor allem, die stocksauer auf mich waren, von meinen früheren Freunden, von der Wirklichkeit, von der Moral, vom rechten Weg, von mir selbst...«
»Hast du die ganze Zeit geschuftet?«
»Die ganze Zeit. Ich hab nicht wirklich viel produziert, aber ich mußte das Gleiche tausendmal wiederholen, wegen technischer Probleme... Die Patina, die Grundierung und alles... Das Bild selbst war eigentlich Peanuts, der Alterungsprozeß war das Schwierige. Ich arbeitete mit Jan zusammen, einem Holländer, der uns mit altem Papier versorgte. Das war sein Beruf: durch die Welt zu reisen und mit Papierrollen zurückzukommen. Er hatte was von einem verrückten Chemiker, der pausenlos nach einer Methode sucht, um aus neu alt zu machen... Ich habe ihn nie auch nur ein einziges Wort sagen hören, ein faszinierender Typ... Dann habe ich jegliches Zeitgefühl verloren... Im Grunde habe ich mich von diesem Antileben aufsaugen lassen... Das sah man nicht mit bloßem Auge, aber mittlerweile war ich ein Wrack. Ein elegantes Wrack... Den Schlund immer feucht, maßgeschneiderte Blusen und Abscheu vor meiner Persönlichkeit... Ich weiß nicht, wie das ganze ausgegangen wäre, wenn Leonardo mich nicht gerettet hätte...«
»Welcher Leonardo?«
»Leonardo da Vinci. Ich habe mich sofort gesträubt. Solange wir uns an die kleinen Meister hielten, an die Skizzen von Skizzen, an die Entwürfe von Entwürfen oder an die Übermalungen von Übermalungen, konnte man den weniger skrupulösen Händlern etwas vormachen, aber das hier war zuviel... Ich habe es gesagt, aber sie haben nicht auf mich gehört... Vittorio war zu gierig geworden... Ich weiß nicht genau, was er mit der Knete gemacht hat, aber je mehr er eingestrichen hat, um so mehr brauchte er... Auch er schien seine schwachen Seiten zu haben... Also habe ich den Mund gehalten. Es war schließlich nicht mein Problem... Ich bin in den Louvre zurückgekehrt, in die Graphikabteilung, wo ich Zugang zu bestimmten Dokumenten hatte, und habe sie mir eingeprägt... Vittorio wollte etwas Kleineres. ÝSiehst du diese Etude hier? Du läßt diesch von ihr inspirieren, aber diesen Figuren da, die läßt du mier bestehen...Ü Zu dieser Zeit lebten wir nicht mehr im Hotel, sondern in einer großen möblierten Wohnung. Ich habe mich seinen Anweisungen gefügt und gewartet... Er wurde immer nervöser. Er verbrachte Stunden am Telefon, scheuerte den Teppich durch und spuckte auf die Madonna. Eines Morgens kam er wie ein Irrer in mein Zimmer gestürzt: ÝIesch muß weg, aber du riehrst diesch niescht von ier, verstanden? Du gehst niescht raus, bevor iesch es dier erlaubt abe... Ast du verstanden? Du riehrst diesch niescht von der Stelle!Ü Am Abend hat mich ein Typ angerufen, den ich nicht kannte: ÝVerbrenn allesÜ, und hat aufgelegt. Gut... Ich habe stapelweise Fälschungen zusammengesucht und sie im Spülbecken vernichtet. Und weiter gewartet... Tagelang... Ich habe mich nicht nach draußen gewagt. Ich habe mich nicht getraut, aus dem Fenster zu sehen. Ich war total paranoid geworden. Aber nach einer Woche bin ich gegangen. Ich hatte Hunger, ich brauchte eine Zigarette, ich hatte nichts mehr zu verlieren... Ich bin zu Fuß nach Meudon zurück und habe ein verschlossenes Haus mit einem Zu verkaufen-Schild am Gitter vorgefunden. War sie gestorben? Ich bin über die Mauer geklettert und habe in der Garage geschlafen. Dann bin ich nach Paris zurückgekehrt. Solange ich lief, hielt ich durch. Ich bin ums Haus gestrichen für den Fall, daß Vittorio zurückkommt... Ich hatte kein Geld, keine Orientierung, keine Bezugspunkte, nichts. Ich habe noch zwei Nächte draußen verbracht, in meinem Kaschmirpulli zu elftausend Franc, habe Kippen geschnorrt und mir meinen Mantel klauen lassen. Am dritten Abend habe ich bei Pierre und Mathilde geklingelt und bin vor ihrer Tür zusammengebrochen.
(wird fortgesetzt)

Artikel vom 03.01.2006