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Frohe Botschaft mit Fingern zu ertasten

Paderborner Verlag Pauline von Mallinckrodt druckt Bücher und Kalender für blinde Leser

Von Bernhard Hertlein
Paderborn (WB). »Die Hand bei der Arbeit, das Herz bei Gott« -Êdieses Zitat Pauline von Mallinckrodts (1817-1881) könnte auch heute noch als Motto über Deutschlands einzigem katholischen Blindenschrift-Verlag und der angeschlossenen Druckerei stehen. Allerdings wird hier in Paderborn im Jahr 2005 längst nicht nur konfessionelle Literatur gedruckt.
Die selbst sehbehinderte Schwester Bernhardine tippt Texte direkt in Blindenschrift in den PC.

Den Grundstock für die heutige gemeinnützige GmbH hat Pauline von Mallinckrodt vor 160 Jahren aus einem christlich-sozialem Antrieb mit der Gründung einer Schule für blinde Kinder in Paderborn gelegt. Die ersten Schriften in einer tastbaren Reliefschrift entstanden bald darauf und wurden als Unterrichtsmaterialien eingesetzt. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts setzte sich die von Louis Braille entwickelte ertastbare Punktschrift für Blinde durch.
Nach dem Tod Pauline von Mallinckrodts wurde die Druckerei von Schwestern des von ihr neugegründeten Ordens der »Schwestern der christlichen Liebe« weitergeführt. Auch der Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg - im März 1945 wurde die Druckerei durch Bomben total zerstört - geschah unter der Leitung der Kongregation.
Die gemeinnützige Gesellschaft, die den Verlag und die Druckerei heute betreibt, wurde 1983 von der Kongregation und dem Deutschen Katholischen Blindenwerk gemeinsam gegründet. 2001 schied der Orden als Träger aus. Er stellt aber weiter das Gebäude und ehrenamtliche Helferinnen. Als gemeinnützige Gesellschaft darf das Unternehmen nach Angaben der Verwaltungsleiterin Yvonne Delfino keinen Gewinn erzielen. Andererseits darf es Spenden entgegen nehmen, die auch dringend gebraucht werden. Unterstützt wird Delfino vom ehrenamtlichen Geschäftsführer Michael Rembeck, der,Êselbst blind,Ê im Bundesarchiv in Koblenz arbeitet. Insgesamt sind 18 festangestellte und 30 ehrenamtliche Mitarbeiter beschäftigt. Letztere helfen vor allem beim Korrekturlesen.
Was andere Verlage erst zum Ziel haben, in Paderborn ist es verwirklicht: »Book on demand«. Neue Bücher werden offeriert. Die Zahl der Bestellungen entscheidet über die Auflage. Früher wurde eine höhere Bücherzahl gedruckt und eingelagert - »Kosten, die wir uns heute nicht mehr leisten können«, sagt die aus der Schweiz stammende und früher beim Kinderbuchverlag Luzern arbeitende Yvonne Delfino. Bei Bedarf könnten Bücher innerhalb eines Tages nachgedruckt werden.
In Deutschland leben etwa 700 000 Blinde. Nur jeder zehnte allerdings kann die Blindenschrift lesen. Delfino erklärt die wachsende Zahl der Analphabeten unter den Blinden damit, dass viele erst im Alter ihre Sehkraft einbüßen. Der medizinische Fortschritt ließ die Zahl der Geburtsblinden, die die Blindenschrift von Kindesbeinen an lernten, stark zurückgehen.
Die Verlage unterscheiden zwischen einer dem Steno vergleichbaren Kurzschrift (K) und der Vollschrift (V). Erwachsenen-Bücher werden teilweise nur in V-Schrift gedruckt.
Aktuell neu im Programm sind etwa das Meditationsbuch »Die Liebe -ÊQuelle des Glücks« vom Dalai Lama und ein Gedenkbuch an den im Sommer verstorbenen Frère Roger. An Grimms Märchen (25 Bände) schließen sich die Märchen von Hans Andersen an. Auch ganz normale Liebesromane finden sich im Programm. Die höchste Auflage erzielt über die Jahre hinweg natürlich die Bibel. Auch das christliche Gesangbuch »Gotteslob« ist sehr gefragt.
Insgesamt kommen jährlich etwa 120 Neuheiten auf den Markt, darunter auch Zeitschriften und Kalender für Blinde. »Gut laufen auch unsere Kochbücher« berichtet Delfino. Darunter sind übrigens auch Spezialitäten wie »Märchenhafte Backrezepte rund um die Abtei Marienmünster«. Bei Fachbüchern sind besonders solche zur Historie gefragt.
Der Preis wird so subventioniert, dass ein Buch für Blinde kaum mehr kostet als das Original für Sehende. Deutsche Verlage sind gesetzlich verpflichtet, die Manuskripte einmal lizenzfrei für Blinde zur Verfügung zu stellen. Diese Verpflichtung erlischt jedoch mit einem Hörbuch. So kommt es, dass ein großes Medienhaus sich inzwischen immer öfter weigert, Bücher auch in Blindenschrift drucken zu lassen.

Artikel vom 24.12.2005